Startseite

American History X (USA 1998, Regie: Tony Kaye)

„Die Vergangenheit eines Menschen ist nicht einfach Geschichte...
sie lebt als Teil dieses Menschen weiter –
als wohliger Schauer, als bitterer Nachgeschmack,
als Stachel verdienter Schande.“


AGeorge Elliot


In dem 1998 entstandenen Film erzählt Regisseur Tony Kaye die Geschichte des Neonazis Derek Vinyard (Edward Norton), der nach Verbüßung einer dreijährigen Haftstrafe geläutert nach Hause kommt und dort feststellen muß, daß sein jüngerer Bruder Danny (Edward Furlong) Gefahr läuft, ein ähnliches Schicksal zu erleiden. Dieser wird von seinem Lehrer Sweenie (Avery Brooks) aufgefordert, einen Aufsatz mit dem Titel „American History X“ zu verfassen, in dem Danny reflektiert, wie er unter Berücksichtigung des Schicksals seines Bruders zu dem wurde, was er heute ist.
Die Geschichte spielt in dem kalifornischen Ort Venice Beach, der so gar nichts mehr von den klassischen Klischees eines Städtchens am Strand hat. Vielmehr ist der Ort zu einem unruhigen Pflaster geworden, seit sich hier Gangs ausgebreitet haben. Und so trägt Kaye diesem Umstand Rechnung, in dem er zumeist eine Handkamera einsetzt, wodurch die Bilder eine innere Unruhe erhalten und durch Schwenks, Zooms und Aufnahmen aus fahrenden Autos heraus der Eindruck einer ständigen Beobachtung, die ein eigenes waches Auge erfordert, erwecken.
Das ein Großteil des Filmes in Schwarz-Weiß gedreht ist, mag allein schon deshlab verständlich wirken, handelt es sich bei diesem Material doch um Rückblenden, die sich vor Dannys Auge abspielen und die das Geschehen, das seinen Bruder Derek letztlich ins Gefängnis brachte, reflektiert. Doch diese Ästhetik lediglich auf eine nostalgische Sichtweise zu begrenzen, wäre sicher nicht gerechtfertigt. Vielmehr reflektiert die Wahl des Filmmaterials in erster Linie die Sichtweise Dereks, für den es nur Schwarz und Weiß, also Gut und Böse, geben kann und er nicht in der Lage ist oder sein will, die vielen Zwischentöne wahrzunehmen.
Und mit einer dieser Rückblenden beginnt der Film. Eine Gruppe schwarzer Jugendlicher versucht, das Auto Dereks zu stehlen. Danny bemerkt dies, während sein Bruder nebenan mit seiner Freundin schläft. Doch von einem Liebesakt im gewöhnlichen Sinne kann hier nicht die Rede sein, denn zu gewalttätig geht all das vor sich, wobei Dereks Freundin (Michelle Christine White) sogar ihre schwarzen Springerstiefel im Bett anbehält, was einen unglaublichen Gegensatz erzeugt, wenn die harten Stiefel in das weiche Federbett treten. Auch die Geräuschskulisse läßt eher auf eine Vergewaltigung als auf eine zärtliche Beziehung schließen, wobei sich hier bereits offenbart, daß es die Menschen um Derek herum kaum schaffen, für einander so etwas wie Zärtlichkeit oder Freundschaft zu empfinden. Diese Brutalität im Umgang miteinander wird sich später wiederholen, wenn die Neonazis eine Party feiern, bei der sie Trash-Metal-Musik mit rechten Texten grölen und dazu Pogo tanzen, sich also permanent heftig anstoßen und schubsen, um dadurch ihre Verbundenheit zum Ausdruck bringen. Auch bei Derek und seiner Freundin spielt die Gewalt im Umgang miteinander eine wichtige Rolle und so reagiert Derek zunächst recht unwirsch, als Danny das Zimmer betritt, dessen Wand von einem riesige Hakenkreuz dominiert wird und neben dem das kleine Kruzifix unbedeutend wirkt, da sich dessen Besitzer längst einer anderen Religion zugewandt hat. Wie ein Klappmesser richtet er sich auf und offenbart sofort den Blick auf seinen nackten muskulösen und recht ästhetischen Oberkörper. Doch diese Ästhetik wird sofort gebrochen, denn der Blick fällt unweigerlich auf das eintätowierte Hakenkreuz auf der Brust direkt über dem Herzen, was sofort deutlich macht, daß sein Herz sozusagen rechts schlägt. Und auch wenn die Sache, für die sich Derek nun stark macht, nämlich die Sicherung des Eigentums, auf den ersten Blick gerecht erscheint, so deutet die Lichtsetzung bereits an, daß Derek ein klares Feindbild vor Augen hat. So erscheint er in außerordentlich scharfem Hell-Dunkel-Kontrast, während etwa sein Bruder Danny deutlich weicher ausgeleuchtet ist, was seine noch nicht erstarrte Haltung zum Ausdruck bringt. Während Danny sich bewußt im Hintergrund hält, geht Derek sehr zielgerichtet vor und offenbar weiß er genau, was er tut. Das Vorgehen eines verängstigten Bürgers, der nachsehen will, wer sich da an seinem Eigentum zu schaffen macht, ist das sicherlich nicht. So reißt er schließlich die Tür auf und feuert ohne zu zögern mehrere Schüsse auf den ersten Mann, der sofort zu Boden geht. Den Autodieb nimmt er als nächstes unter Beschuß und nur der dritte Mann kann mit seinem Wagen entkommen. Bereist hier fällt auf, daß Tony Kaye häufig extreme Zeitlupenaufnahmen einsetzt. Damit erreicht er eindrucksvoll eine Dehnung derjenigen Momente, die das Leben der Beteiligten in besonderem Maße beeinflussen, womit er auch dem Umstand Rechnung trägt, daß es eben zumeist objektiv sehr kurze Momente sind, die entscheidend sind, aber für die Betroffenen einen ganz anderen Stellenwert und gravierende Folgen haben. Dieses Anhalten oder Verlängern eines Momentes erwirkt hierbei zudem eine faszinierende Ästhetik, die mich als Zuschauer besonders in ihren Bann zieht und ein Wegschauen beinahe unmöglich macht. So kann ich wie eben auch Danny den Blick nicht abwenden, wenn Derek zu dem Verletzten zurückkehrt. Zielsicher läuft er auf ihn zu und offenbart ein weiteres Mal seinen nackten Oberkörper, der zusätzlich zu dem Hakenkreuz auf der Brust mit zahlreichen anderen Tätowierungen versehen ist, die er, Rangabzeichen beim Militär gleich, auf Armen und Schultern trägt. Überhaupt kommt seinem Körper die Funktion einer Rüstung zu, symbolisiert dieser doch am eindrucksvollsten nach Außen hin Stärke und auch Zugehörigkeit zu der Gruppierung der Neonazis. Durch den kahlgeschorenen Kopf wird dem Gesicht zudem eine besondere Härte gegeben und auch der Kinnbart läßt das Gesicht spitzer und damit härter wirken, als es tatsächlich ist. Mit haßerfülltem Blick läuft er auf den am Boden liegenden zu, während sein Körper von der Dunkelheit der Nacht umgeben ist und damit die Welt symbolisiert, in der sich Derek bewegt. Lediglich im Hintergrund flackert ein Licht unbekannten Ursprungs und wirkt dabei wie das Aufleuchten eines Filmprojektors und wie in einem Film kann Danny nur tatenlos zusehen, wie sein Bruder näherkommt und schließlich mit geöffnetem Mund und ausgebreiteten Armen wie ein bösartiger Raubvogel, der seine Beute erspäht hat, auf sein Opfer niederschießt.