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3. Die Welt, in die Edward kommt

Die Vorstadt, in die Peg Edward mitnimmt, besteht aus Häusern, die sich lediglich durch ihre schrille Pastellfarbe unterscheiden. Die Individualität der männlichen Bewohner reduziert sich darauf, daß jeder von ihnen sein eigenes Auto benutzt, um zur Arbeit zu fahren. Doch auch die Nutzung dieses Individualverkehrsmittels verkommt zur Farce, da alle zum gleichen Zeitpunkt aufbrechen und offensichtlich auch noch das gleiche Ziel haben. Und wie selbstverständlich organisieren sie am Wochenende auch das obligatorische Grillfest. Auch die Frauen besitzen wenig Individualität. Sie tragen die gleiche Kleidung, die gleiche Frisur und haben etwa mit stundenlangen Telefonaten von einem Haus zum anderen die gleichen Beschäftigungen, mit denen sie die Zeit totschlagen.

Von seinem Eintreffen an wird deutlich, daß Edward nicht in diese Welt paßt. Sein Körper ist mit dieser neuen Welt nicht kompatibel. Jedes Hobby, das Pegs Ehemann hat, Bowlen und Angeln, würden bei Edward schon daran scheitern, daß er diese mit seinen Scherenhänden nicht ausführen kann. Auch bei der Nahrungsaufnahme, also einer elementaren Sache, schaut die Familie zwar betroffen und gespannt zu, wie Edward im Umgang mit dem Besteck versagt, aber helfen wird ihm niemand. Als einzige Lösung bietet sich an, einen Spezialisten heranzuziehen, der ihm neue Hände anpassen soll. So hat offensichtlich keiner ein Interesse, Edward so zu akzeptieren, wie er ist, sondern ihn zu einem funktionsfähigen Element dieser Welt umzubauen . Pegs Mann will ihn integrieren, indem er ihn nur mit „Ed“ anspricht und Peg ist vollends damit beschäftigt, ihm ein Aussehen zu verschaffen, mit dem er nicht auffällt. Doch dieser Versuch soll scheitern, denn  die Kleidung, die Edward tragen soll, kann dieser nicht anziehen, da seine Scherenhände das Hemd und die Hosenträger zerschneiden. Er paßt also nicht in diese Kleidung und als er mit viel Hilfe Pegs in die Kleidung gelangt, will diese nicht an ihm bleiben. Pegs Make-up will auf seiner Haut nicht haften oder hat die falsche Farbe. Edwards Körper wehrt sich also auf seine eigene Art wie von selbst gegen den Versuch, ihn zu urbanisieren. Tim Burton wählt geschickt, während Peg versucht, Edward das Make-up aufzutragen, eine Kameraperspektive, die den Zuschauer in die Rolle Edwards schlüpfen läßt, wenn diese frontal Peg zeigt, wie sie in die Kamera blickt und somit quasi am Gesicht des Zuschauers herumpinselt.

Edwards Schritte sind den trippelnden Schritten einer Geisha nachempfunden. Er bewegt sich unsicher und folgt meistens den Leuten, um in dieser neuen Welt nicht völlig verloren zu sein. Die Hände hält er dabei bewußt vor dem Körper, um sie so unter Kontrolle halten zu können. Ein lockeres Schlenkern der Arme kommt für ihn aufgrund des Umfanges der Hände und der möglichen Verletzungsgefahr für andere nicht in Frage.

Die Reaktionen der Leute auf dem Grillfest, auf dem Peg Edward ihren Nachbarn vorstellen will, sind geschlechtsabhängig geteilt. Die Männer begrüßen ihn oberflächlich kameradschaftlich und sehen in ihm wenig besonderes. So machen sie bald ihre Späße mit ihm und mißbrauchen seine Scheren zum Bierdosenöffnen oder als Spieß zum Fleischbraten. An seinem Wesen sind sie nicht interessiert und können mit ihm wohl auch nicht anders umgehen, als Witze mit und über ihn zu reißen. Die Frauen jedoch, angeführt von Joyce (Kathy Baker) betrachten ihn mit besonderem Interesse, denn für sie verkörpert Edward ihre wilden sexuellen Träume, die ihnen ihre eigenen Männer (oder das schnelle Abenteuer mit Handwerkern) längst nicht mehr erfüllen können. Er stellt der Ausbruch aus dem Normalen hin ins Außergewöhnliche dar. Doch auch hier beschränkt sich das Interesse auf das Ausnutzen des eigenen Vorteils, nämlich des erhofften sexuellen Erlebnisses. Edwards Scherenhände, als Zeichen des andersartigen Äußeren, scheinen für sie lediglich Phallussymbol einer neuen bisher unbekannten Art der Sexualität, nicht aber Ausdruck einer anderen Persönlichkeit zu sein.

Lange habe ich mich gefragt, warum Edward Scheren an den Armen trägt. Ich glaube, daß die Scherenhände auf einzigartige Art zeigen, daß Edward nicht in diese Welt paßt. Edward fehlt das Bindeglied zwischen ihm und der Welt. Nichts von den für andere alltäglichen Dingen kann er nutzen. Auch kann er zwischenmenschliche Regungen nicht durch seine Hände erwidern. Das Handicap ist aber nicht einseitig auf Edward beschränkt, denn alles, was er versucht, anzufassen, wird zerstört. Dadurch offenbart sich auch die Verwundbarkeit dieser Welt. Dennoch gelingt es ihm, seine Gefühle durch die Nutzung seiner Scherenhände zum Ausdruck zu bringen, indem er im zunächst im Garten des Schlosses und später in den Gärten der Vorstadt aus Hecken zahlreiche Figuren schneidet, die seine momentane Verfassung widerspiegeln. So findet sich im Schloßgarten eine Hecke, die Nessie, das Ungeheuer von Loch Ness darstellen soll. Von Nessie wird immer wieder gesprochen, aber Beweise für seine Existenz gibt es nicht. Hier deutet es sich bereits an, daß Edward eine Art Märchenschloß bewohnt, dessen Existenz auch kaum jemand für möglich halten mag. Im Garten von Pegs schneidet er, als es ihm immer klarer wird, wie fehl am Platz er in dieser Welt ist, aus einer Hecke eine Dinosaurierfigur. Ihm ist klar, daß er zu ungeschickt ist, um in dieser Welt leben zu können und er sich in ihr mit der Geschicklichkeit eines Dinosauriers bewegt. Ihm wird wohl jetzt schon klar sein, daß er ebenso wie die Dinosaurier zugrunde gehen wird, wenn er hier bleibt, denn ähnlich erging es wohl den Dinosauriern, die ausstarben, als sie nicht mehr in ihre Umwelt paßten. Fern am anderen Ende des Gartens erschafft er ein Abbild von Pegs Familie, der er wohl gerne angehören würde, die aber unerreichbar fern für ihn ist und das auch bleiben wird.

Aus dieser Tätigkeit, daß seine Mitmenschen nicht zu deuten wissen, entsteht die erste Tätigkeit Edwards, mit denen er nicht Mitleid, sondern Anerkennung erntet. Er frisiert zunächst die Hunde der Nachbarinnen und später diese selbst. Was für die Frauen der Nachbarschaft einem sexuellen Abenteuer gleichkommt, wird für Edward zur Gelegenheit, seine Möglichkeiten und Fähigkeiten zu nutzen. Doch durch seine Tat schafft er vielmehr, als nur den Frauen zu einem neuen Haarschnitt und einem prickelnden Erlebnis zu verhelfen. Indem er sie von ihren uniformen Frisuren erlöst, gibt er ihnen das individuelle Erscheinungsbild, das ihnen bislang versagt geblieben ist.