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I.1. Ankunft im Dschungel

„Es blies der fünfte Engel: da sah ich einen Stern, der vom Himmel auf die Erde gefallen war; und ihm wurde der Schlüssel zum Schacht des Abgrundes gegeben.“


(Offenbarung, 9, 1)


Im Jahre 1987 dreht John McTiernan den Film „Predator“ mit Arnold Schwarzenegger und Carl Weathers in den Hauptrollen. Eine amerikanische Elite-Einheit wird in den Dschungel geschickt, um einen gefangenen US-Senator zu befreien, dessen Helikopter bei einem grenznahen Flug abgeschossen wurde. Es stellt sich heraus, daß diese Mission lediglich ein Vorwand ist, um die Soldaten eine Ortschaft mit Terroristen auslöschen zu lassen. Doch schon kurz darauf stellt sich den Männern ein außerirdisches Wesen in den Weg, das einen Soldaten nach dem anderen umbringt, um deren Leichenteile als Trophäen zu sammeln. Lediglich Dutch (Arnold Schwarzenegger) überlebt zuletzt und besiegt den Außerirdischen in einem lange andauernden Kampf.
Die Mission der Elitesoldaten dient nicht nur der US Army als Vorwand, ein gänzliches anderes Ziel als das genannte zu verfolgen, sondern auch Regisseur John McTiernan bedient sich hier dessen, was Hitchcock stets als den „McGuffin“ bezeichnete: Es geht Tiernan nicht darum, eine Rettungsaktion zu zeigen, sondern er sucht lediglich einen einigermaßen plausiblen Grund, um eine Gruppe Soldaten in den Dschungel zu schicken, um sie dort auf den Predator treffen zu lassen.
Das Wort Predator kommt aus dem lateinischen (predator, -oris, m) und bedeutet „Raubtier“ oder auch „Beutetier“. Und ähnlich einem Jäger, der auf Beutezug geht, kommt in den heißen Sommern der Predator auf die Erde, um dort seine Jagdleidenschaft zu verfolgen. Seine Herkunft bleibt im Verborgenen und lediglich der Vorspann liefert mit der Abbildung des sternenklaren Himmels den Hinweis, daß er von irgendwoher aus den Tiefen des Weltalls auf die Erde kommt. Sein Raumschiff, das in seiner Form dem Schädel eines Krokodils ähnelt, löst sich aus dem Sternenhimmel und setzt seinen Passagier, der zu diesem Zeitpunkt noch unerkannt bleibt, irgendwo auf einem Kontinent ab. Wie später zu erfahren ist,  jagt er dort die Männer, die als die stärksten ihres Stammes gelten, um ihre Schädel als Trophäen zu sammeln. Es geht ihm dabei nicht um das eigene Überleben oder die Verfolgung eines höheren Zieles. Der Predator befriedigt damit lediglich seine pure Lust am Töten und für ihn ist es vor allem der sportliche Aspekt, der ihn zu diesen Taten treibt. Das Sammeln der Schädel seiner Opfer mag hierbei symbolisch für die Auslöschung deren Individualität stehen und läßt deutliche Parallelen zu Buschmännern erkennen, welche die Köpfe ihrer Gegner sammeln und vielleicht zu Schrumpfköpfen verarbeiten, was ebenso für die Unterlegenheit des Geistes der Opfer gegenüber dem erfolgreichen  Jäger steht.
Und auch die Soldaten um Dutch Schaefer (Arnold Schwarzenegger) treten ihren Auftrag an, als würde ihnen ein Wettkampf in einer beliebigen Sportart bevorstehen und ähnlich dem Predator kommen auch sie mit ihrem Hubschrauber zunächst aus dem Nirgendwo. In Anzug und Freizeitkleidung werden sie zu dem Camp geflogen, von dem aus ihre Mission beginnen soll. Dieses läßt bereits den Urwald im Hintergrund erahnen, doch befindet sich das Camp selbst inmitten einer gerodeten Fläche, also auf freiem Terrain, daß den Einfluß der Zivilisation erkennen läßt. Das Rettungsteam bereitet sich auf eine der üblichen Missionen vor. Anders ist die fast familiäre Atmosphäre an Bord des Hubschraubers kaum zu erklären, denn die Gespräche sind locker und die Töne des Rock´n Roll-Klassikers „Long tall Sally“ lassen fast schon Partystimmung aufkommen. Erst als sie in der Nähe ihres Landungspunktes eintreffen, wird die Stimmung ernster und die Männer beginnen, sich mit Tarnfarbe zu schminken. Dieses wird einem Ritual gleich zelebriert, wird sich aber im Kampf gegen den Predator bald als ebenso nutzlos herausstellen, wie ihre Tarnkleidung oder der Rest ihrer Ausrüstung. Auch der Dschungel wird zunächst weniger als Bedrohung, sondern vielmehr als Ärgernis empfunden, etwa weil Stechfliegen um die Männer herumschwirren oder die Bäume schlichtweg die Sicht nehmen. Und in der Tat wirkt dieser wie eine undurchdringliche Wand, die sich gleich neben dem Team von Dutch Schaefer auftürmt und den Einblick, auf das, was bereits wenige Meter entfernt kommen mag, verwehrt. Dies deutet sich bereits beim Absetzen der Männer an. Zwar sind die Baumwipfel und ihre sich vielfach verästelten Baumkronen deutlich auszumachen, doch dahinter ist nichts erkennbar, so daß der Ausstieg aus dem Helikopter einem Sprung ins Ungewisse gleichkommt. Eine ernsthafte Gefahr können die routiniert auftretenden Männer darin nicht erkennen. Vielmehr macht sich eine fast schon unbesorgte Stimmung breit, die Dillon (Carl Weathers) zu der Bemerkung verleitet, daß ihm diese Art von Einsatz gefehlt habe. Lediglich Dutch mahnt verhalten zur Vorsicht, als er erwidert, daß dieser, Dillon, noch nie besonders clever gewesen sei. Hierbei spielt zwar auch Respekt vor der Situation, doch vielmehr auch Ironie als echte Besorgnis oder Vorsicht mit, auch wenn sich darin die beiden grundlegenden Unterschiede der beiden Männer ablesen lassen, wobei Dillon hier eindeutig das Klischee des oftmals unbedachten und ungestümen Helden einnimmt, der sich gerne ins Getümmel stürzt, während Dutch nun doch eher vorsichtig ist und die Situationen abzuschätzen versucht. Überhaupt tragen alle Soldaten diverse individuelle Züge, doch beläßt es McTiernan bei der Andeutung von immer wiederkehrenden Verhaltensmustern, die lediglich erahnen lassen, daß hinter den Uniformen auch Individuen stehen, deren Persönlichkeiten aber hinter ihre Funktionen zurücktreten. So etwa rasiert sich Mac (Bill Duke) immerzu mit einem Kunststoffrasierer, als wolle er wenigstens sein Gesicht so zivilisiert wie möglich erscheinen lassen, wenn sich denn schon die Natur um ihn herum von Menschenhand unbeeindruckt zeigt. Der permanent Kautabak kauende Blain (Jesse Ventura) spuckt diesen immerzu auf den Boden, als wolle er dadurch die Verachtung für sein Umfeld und die Situation überhaupt zum Ausdruck bringen, während Hawkins (Shane Black) immerzu sexuell anzügliche Witze und Geschichten über seine Freundin erzählt, deren Wahrheitsgehalt wahrscheinlich jenseits der sieben Berge bei den sieben Zwergen anzusiedeln ist, denn ihm nehme ich den Macho nun beim besten Willen nicht ab. Lediglich Billy (Sonny Landham), der schweigsame Fährtenleser scheint sich mit der Situation zu arrangieren, versteht er es doch, auf die Signale seiner Umwelt zu achten und versucht, diese zu deuten.
Generell fällt auf, daß sich die Soldaten bei ihrem Marsch durch den Dschungel instinktiv immer nach oben blickend orientieren und sie die Äste und Baumkronen mit ihren Blicken förmlich abtasten. Und auch wenn keiner der Männer die Gefahr realisiert, in der sie sich schon unmittelbar nach der Landung befinden, so wird durch die Arbeit der Kamera deutlich, daß sie bereits in der Falle sitzen, wenn der Hubschrauber wieder jenseits der tiefschwarzen Baumwipfel entschwindet. Die Zweige, die sich immer wieder zwischen die Kamera und die Männer schieben, macht klar, daß diese sich längst in einem Gefängnis oder auch in einem gigantischen Gehege befinden, bei dem sie sich wie auf einem Präsentierteller bewegen. Obwohl sie immer wieder hinter Bäumen und Hügeln Deckung suchen und mit dem Dschungel zu verschmelzen scheinen, wird ihnen diese Art der Tarnung nicht viel nutzen. Die Kamera deutet es zunächst an, daß die Gefahr von oben kommen wird, in dem sie immer von oben an den Baumstämmen nach unten fährt und die Männer ins Blickfeld nimmt, dann aber auch wieder nach oben gleitet und somit eine Verbindung zweier Welten herstellt.
Doch auch dem Zuschauer wird die Bedrohung nicht sofort bewußt, assoziiert er doch mit dem Blick hinauf in die Baumwipfel vorerst die Suche und Entdeckung des Hubschrauberwracks, das sich in den Ästen verfangen hat. Der ständige Blick nach oben macht aber auch deutlich, daß sich die Männer in einer scheinbaren Sicherheit wiegen, die sie annehmen läßt, das Geschehen am Boden ohnehin im Blickfeld und somit unter Kontrolle zu haben. Ich frage mich, ob es Instinkt oder Angst oder möglicherweise auch beides sein kann, was diese Fixierung auf das Undefinierbare in den Wipfeln auslöst. Zumindest wird klar, daß eine ernsthafte Bedrohung wohl am ehesten von oben kommen kann.
Auf der Tonebene vollzieht sich eine Synthese aus typischen Urwaldgeräuschen, die mit der Musik zu verschmelzen scheinen. Auch andere Geräusche fließen hierbei mit ein, wie das Werfen des Ankers mit dem Seil, welches das Hinaufklettern zum Wrack ermöglicht. Dieses wird nicht durch Worte oder einen Establishing Shot angekündigt, sondern ist mit einem Mal da, als ob es der Dschungel urplötzlich wieder wenigstens für einen Moment freigegeben hätte. Kabel und sonstige technische Geräte hängen aus ihm heraus und erinnern an Lianen und Äste, die das Wrack umschließen. Und tatsächlich macht eine Nahaufnahme deutlich, daß die Reste des Hubschraubers bereits innerhalb kürzester Zeit von der Vegetation in Besitz genommen werden. Diese verschließt wie eine undurchschaubare Wand aus Gräsern, Lianen, Ästen und Farnen den Blick auf Details und gibt einem Vorhang gleich den Blick auf die nächste Überraschung, nämlich die Leichen frei, als dieser Vorhang zur Seite geschoben wird.