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4. Der brave Familienvater

Der erste Blick auf Oliver Lang ist ein trügerischer, denn er zeigt ihn als einen um das Wohl seiner Familie besorgten Vater, der so völlig in das Klischee des „All-American-Guy“ zu passen scheint. Er besitzt ein Haus in einer ruhigen Wohngegend, fährt einen typischen weißen Mini-Van eines amerikanischen Herstellers, feiert das typische Grillfest im Garten und geht einem anständigen Beruf als Architekt nach, bei dem er gerade das örtliche Einkaufszentrum erweitert, was sogar einen zumindest minimalen Grad an Arbeit für die Allgemeinheit beinhaltet, denn diese Erweiterung ist schließlich ein Vorteil für alle ordentlichen Bürger. Sein Sohn ist Mitglied bei den Junior-Discovery-Pfadfindern, deren Treueschwur Oliver noch immer ein jedes Mal mitspricht, wenn er bei der Vereidigung neuer Mitglieder anwesend ist und man nimmt es ihm wohl auch ab, daß er auch meint, was er sagt. Nachdem er die Freundschaft zu Michael gesucht hat („Well, Michael, we all need friends. Life just isn´t the same without them.“), bekommt sein klares Verhalten erste Brüche, als er auf dem Baseballplatz zusammen mit Michaels Sohn Grant (Spencer Treat Clark) trainiert, während sein eigener Sohn Brady (Mason Gamble) unbeteiligt am Spielfeldrand sitzt. Oliver berichtet dem verdutzten Michael wie selbstverständlich, daß ihm Grant einige Dinge anvertraut hat, die bislang wohl nur für die Ohren seines Vaters bestimmt gewesen sein müssen. Michaels Mißtrauen ist geweckt, als er zudem Brady teilnahmslos und mißmutig dreinblickend auf einer Bank sitzen sieht und in ihm das Gefühl erweckt, Oliver versuche ihm, unter Vernachlässigung des eigenen Sohnes, Brady abspenstig zu machen, denn dieser wird fortan tatsächlich einen Großteil seiner Freizeit nicht nur mit seinem neuen Freund, sondern eben auch mit Oliver Lang verbringen, der ihm die Familie zu bieten scheint, die ihm Michael aufgrund des Todes seiner Frau nicht mehr bieten kann. Somit darf, als er Michael sagt, Kinder sprechen die Wahrheit, auch der Umkehrschluß gelten, daß eben auch der Gesichtsausdruck von Brady Lang die Wahrheit spricht.

Michael Farraday beginnt, Nachforschungen über seinen Nachbarn anzustellen und bewegt sich dabei auf sehr dünnem Eis, denn schon bald kommt er an die Grenzen des Legalen, bis er schließlich seinen Freund, den FBI-Agenten Whit Carver (Robert Gosett) um Hilfe bittet, der jedoch ablehnt. Auch die in dieser Einstellung immer weiter zurückweichende Kamera macht unmißverständlich klar, daß er weiterhin auf sich allein gestellt ist.

Michael klingelt bald darauf an der Tür der Langs. Erneut nutzt Regisseur Pellington hier eine sehr weitwinklige Einstellung, die einmal mehr zeigt, wie allein Michael mit seinem Enthusiasmus, weitere Details zu erfahren, weiterhin bleibt. Die Kamera steht dabei leicht schräg und sehr tief und symbolisiert so auch Michaels ungutes Gefühl, welches er bei dieser Aktion haben muß. Sie deutet aber auch Michaels Entschlossenheit an, jetzt in die Tiefe zu gehen, womit Pellington erneut Lynchs Eingangssequenz zu „Blue Velvet“ zitiert, denn auch hier steht die Kamera oftmals sehr tief und blickt aus der Untersicht in die Welt. Es ist ein sonniger Tag und die Bäume werfen einen Schatten auf das Haus, der jedoch vielmehr wie Spinnweben und weniger wie ein Ort der Kühle in sommerlicher Hitze wirkt. Die jüngere Tochter öffnet ihm die Tür. Nur spärlich scheint das Tageslicht vorzudringen, denn der Eingangsbereich ist deutlich dunkler, als es die Außenaufnahme des Hauses vermuten ließe. Und so ist auch der Windfang an der Haustür, vor dem die Tochter steht, noch dunkler, als ginge es hier in eine andere, dunklere Welt. Ihre Kleidung ist hübsch zurecht gemacht und es stellt sich hierbei unweigerlich die Frage, wofür, denn weder sind ihre Eltern zu Hause noch warten sie auf einen besonderen Anlaß, zu dem es aufzubrechen gilt. Statt dessen sitzen sie einfach vor dem Fernseher und es wird klar, daß für Außenstehende, zu denen Michael jetzt unzweifelhaft gehört, lediglich der schöne Schein gewahrt werden soll. Die Gesichter sind von zahlreichen Schatten zerfurcht und auch die Kleidung wird durch ein sehr dunkles Blau dominiert. Wortlos steht sie vor Michael, der offenbar glaubt, in ihr kein Hindernis vorzufinden, doch gerade diese Stille, die ihm entgegenschlägt, ist das größte Problem. Michaels Gelassenheit ist nur gespielt und offenbar glaubt er, mit ein paar Nettigkeiten auf trivialem Niveau an dem Mädchen vorbeikommen zu können. Doch schon die Kamera entlarvt die Falschheit seines Auftrittes. So ist er aus einer deutlichen Untersicht gefilmt. Diese ist jedoch so extrem und wie Michaels Lächeln völlig übertrieben, daß sie nur aufgesetzt und falsch wirken kann. Die Schatten, die auf sein Gesicht fallen, durchbrechen seinen allzu freundlichen Gesichtsausdruck zusätzlich und offenbaren durch diese optische Zerstörung eines ganzheitlichen Gesichtes einmal mehr, daß auch hier ein Mensch mit falschen Karten spielt und mehr verbergen möchte als er nach außen zeigt. Die Einstellung zeigt zudem Michael sehr weit links stehend, was dafür steht, daß dieses Bild im wahrsten Sinne des Wortes nicht stimmt.

Sogleich kommt die ältere Schwester an die Tür, so daß die beiden nun wie eine unüberwindbare Mauer vor Michael stehen. Im Gegensatz zu den beiden Mädchen, bei deren Einstellungen die Kamera exakt ausgerichtet ist, was ihre Sicherheit unterstreicht, steht sie bei dem Gegenschuß auf Michael leicht schräg, denn dessen Argumentation, um ins Innere des Hauses zu gelangen, ist mehr als wackelig. Überhaupt lassen sich die beiden Mädchen nicht aus der Ruhe bringen und ihre starren Gesichter, die keinerlei Anzeichen von Emotionen zeigen, erinnern dabei an den Gesichtsausdruck der Kinder in dem Film „Village of the Damned“ (England 1960, Regie: Wolf Rilla), zumal sich beide Mädchen nicht nur durch ihre Kleidung, sondern auch im Gesicht stark ähneln und somit jegliche Individualität vermissen lassen. Vielmehr wirken sie beinahe wie ferngesteuert. Schließlich lassen ihn die beiden doch noch passieren, aber die leichte Untersicht, in der das ältere Mädchen zu sehen ist, sagt überdeutlich, daß die beiden dem allzu freundlichen Agieren Michaels keinen Glauben schenken. Zwar können sie nicht verhindern, daß er das Arbeitszimmer ihres Vaters betritt, doch der Zwischenschnitt, in dem die beiden Kinder mißtrauisch vom Fernsehsessel aus in die Richtung des Arbeitszimmers ihres Vaters blicken, bewirkt, daß sich Michael, der ja ohnehin etwas Verbotenes tut, beobachtet fühlen muß. Dies deutet auch die Kameraperspektive an, denn zunächst zeigt sie den suchenden Michael direkt von oben herab, so daß der Eindruck eines allmächtigen Beobachters entsteht, der diesem Tun beiwohnt. Als schließlich Mrs. Lang eintrifft, ist sie freundlich und hilfsbereit, doch als eines der Mädchen Michael das Mobiltelefon nachträgt, das er im Haus vergessen hat, wirkt seine Bitte, telefonieren zu dürfen, mit einem Schlag fadenscheinig. Erst der Hinweis auf die leeren Batterien verschafft ihm wieder etwas Luft. Offenbar glaubt ihm Mrs. Lang, doch dem Gesicht des Mädchens sieht man an, daß sie ihm keinen Glauben schenkt. Eigentlich könnte ihre Reaktion unwesentlich sein, würde sich nicht die Frage einschleichen, wieviel die Töchter wissen und zeigen, während das Ehepaar Lang selbst ihre Freundlichkeit und Ahnungslosigkeit nur vortäuscht, da bereits Oliver darauf hinweist, daß Kinder die Wahrheit aussprechen, die Erwachsene für sich behalten. Überhaupt gelingt es Mark Pellington immer wieder, ein raffiniertes Katz-und-Maus-Spiel zu inszenieren, bei dem ich mich nicht nur fragen muß, was Oliver Lang weiß und welche Rolle er spielt, sondern auch, in wie weit Michael ein Opfer seiner Einbildung geworden ist. Und dennoch mehren sich die Anzeichen, daß Oliver nicht der ist, der er vorgibt zu sein. Zu diesen Beweisen darf eindeutig gezählt werden, daß er und seine Gattin zumeist immer dann auftauchen, wenn der in der Vergangenheit herumschnüffelnde Michael unmöglich gestört werden will. Wenn er im Archiv der Zeitung liest, um mehr über Olivers Jugend herauszufinden, beschleicht mich schnell das Gefühl, daß er auch hier beobachtet wird. Indiz dafür ist der Hintergrund, der zwar verschwommen ist, jedoch immer in Bewegung zu sein scheint. Personen huschen dort vorbei, deren Identitäten nicht auszumachen sind. Die Musik ist dunkel und sphärisch und drückt genau damit wieder jene Amibivalenz aus, die besagt, daß Michael beobachtet werden könnte, aber auch in Olivers dunkle Vergangenheit vordringt. Dieser steht unerwartet hinter ihm. Seine Frage „How is the hunting?“ ist ebenso ambilvalent wie provozierend, deutet sie doch an, daß er sehr genau weiß, daß sein Nachbar nicht nach irgendwelchen Zeitungsberichten sucht, sondern ihn selbst jagt. Pellington nutzt somit höchst subjektive Mittel und vermeidet Konventionen, welche die wahren Absichten der Protagonisten allzu früh verraten könnten. Eine dieser Konventionen ist die einem Gespräch folgende Einstellung auf den Schurken, der dem Helden nachschaut und so bestätigt, daß der Bösewicht etwas Übles im Schilde führt. Auf jene Konventionen verzichtet Pellington, womit er sein Publikum deshalb schon irritiert, weil dadurch eine Orientierung an Sehgewohnheiten verhindert wird und eine eindeutige Klassifizierung in Gut und Böse nicht möglich ist. Klarheit besteht erst, als Brooke Wolf zu Tode kommt und Oliver sein wahres Gesicht zeigt. Als schlichtweg brillant darf hier die Kameraarbeit gelten. Als Brooke ein Telefongespräch führt und ihre Hinweise auf Michaels Anrufbeantworter spricht und sich umdreht, steht wie aus dem Nichts plötzlich Mrs. Lang vor ihr. Erreicht wird dieser Schockeffekt durch eine sehr lange Einstellung, die Brooke all die Zeit ohne Schnitt und aus einer leichten Untersicht zeigt und es der Schauspielerin Joan Cusack ermöglicht, sich sozusagen in ihrem Windschatten aufzuhalten, ohne von der Kamera entdeckt zu werden. Die lange Einstellung hat aber auch zur Folge, daß ich daran gewöhnt werde, daß hier nur Brooke im Bild ist und in falscher Sicherheit gewiegt werde, zumal sie vorher noch mitsamt der menschenleeren Umgebung aus der Obersicht gefilmt wurde. Mrs. Langs plötzliches Auftauchen verleiht dieser nun einen beinahe übersinnlichen Aspekt.

Jeder der beiden Frauen ist klar, daß die andere lügt. Ab hier ist klar, daß Brooke zuviel weiß , denn in dem Gespräch verweilt die Kamera nun einen Tick zu lange auf Mrs. Lang. Auch ihr abschließendes „Yeah...“ klingt weniger wie eine Bestätigung, sondern wie das böse Zischen einer Schlange, die ihr Opfer zunächst mit Blicken hypnotisiert und dann töten wird.