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6. Der Jäger wird zum Dämon

Mit einem gemieteten roten Ford forscht Michael weiter, bis er letztlich den Lieferwagen entdeckt, in dem sein Sohn kurz am Heckfenster zu sehen ist. Die wilde Verfolgungsjagd zeigt bereits, daß Michael realisiert hat, daß er alles auf eine Karte setzen muß. Die Aktivitäten, die mit dem Lieferwagen in Zusammenhang stehen, zeigen, daß die Aktion, von der Oliver sprach, bereits läuft. Michael steht extrem unter Zeitdruck. Als er in eine schmale Gasse einbiegt, schießt aus einer Einfahrt plötzlich Olivers Wagen hervor und einmal mehr bestätigt sich, daß dieser immer und überall auftauchen kann, er somit endgültig zum allgegenwärtigen Dämon geworden ist. Und im Gegensatz zu Michael, der nach dem Zusammenstoß benommen hinter dem Steuer sitzt, ist Oliver, einem unbesiegbaren Übermenschen gleich, unverletzt und führt ihn in einen dunklen Raum. Michael gelingt es, seinen Gegner zu überlisten und außer Gefecht zu setzen. Wild prügelt er auf ihn ein. Sein Gesicht ist von Wut und Haß verzerrt, seine Augen werden durch ein Augenlicht bösartig erleuchtet, während tiefe scharfe Schatten sein Gesicht zerschneiden. Seine Haare sind zerzaust und Michael wirkt nun seinerzeit wie ein böser Dämon, der auf Rache aus ist. Doch im Gegensatz zu Oliver, der das Böse in kontrollierter Form darstellt, wird Michael vollends durch seine Gefühle getrieben. Olivers Gesicht hingegen ist zwar mit Blut verschmiert, aber dennoch mit einem hellen Licht quasi überbelichtet, was ihn im Gegensatz zu Michael sauberer und weniger teuflisch wirken läßt, da die helle Ausleuchtung alle Hautunebenheiten überdeckt. Als ihn Michael auffordert, über das Funkgerät den Befehl zum Abbruch der Aktion zu geben, zerstört er dieses und nimmt Michael die vermeintlich letzte Chance, hier an dieser Stelle alles zu beenden, so daß dieser wie in einem Actionspiel auf dem Computer zur nächsten Station eilen muß, wobei es immer mehr den Anschein hat, als ob sich alles gegen ihn verschworen hätte, denn auch sein Handy versagt seinen Dienst. Oliver hingegen hat immer noch die perfekte Kontrolle, denn er besitzt ein zweites Funkgerät im Wagen, womit er eiskalt beweist, daß er nicht übertreibt, wenn er sagt: „Did you really think we leave anything on chance?“ Sein Plan läuft unverändert weiter. Und in diesem Plan spielt Michael die Hauptrolle, ohne dies zu wissen. Nach einer rasanten Hatz (daß Michael mit einem Mal in einem ganz anderen PKW des Hauses Ford, dem Typ „Contour“, sitzt, darf als ein klassischer Anschlußfehler gelten, denn bereits während ihn Oliver abdrängt, sind hier abwechselnd die beiden unterschiedlichen Fahrzeuge zu sehen) dringt er in die Tiefgarage des FBI-Gebäudes ein, wo er erkennen muß, daß er in Olivers Plan nicht der Störfaktor ist, sondern als ausführendes Werkzeug benutzt wurde. Er ist der einzige Mann, der an diesem Ort nichts zu suchen hat und doch alles unternommen hat, um hier zu sein. Jeder seiner Schritte war Oliver klar, lange bevor Michael ihn ausführte und so läuft er zurück zu seinem Wagen. Seine Augen sind weit geöffnet, sein Gesicht ist von einer schrecklichen Ahnung gezeichnet und sein Mund ist wie zu einem stummen Schrei, den keiner mehr hören kann, weit aufgerissen. Michael ist in Zeitlupe zu sehen und nicht nur ihm muß dieser Moment wie eine Ewigkeit vorkommen. Die FBI-Männer laufen hinter ihm her und es wird klar, daß er nun nicht mehr der Jäger Olivers, sondern sein Opfer und somit eben selbst der Gejagte sein wird. Die Zeitlupe zeigt aber auch, daß er zu spät kommen wird. In Zwischensequenzen wird aufgezeigt, wie sich die vermeintliche Entführung seines Sohnes offiziell als ein scheinbar harmloser Ausflug entpuppt. Der Lieferwagen mit Grant fährt an, Michael rennt weiter, die Polizisten verfolgen ihn und überhaupt scheint in diesem Moment alles in Bewegung zu sein, um dann als einzige Möglichkeit doch nur auf die Katastrophe zusteuern zu können. Zu raffiniert ist Olivers Plan, als daß dieser noch schiefgehen könnte und so verharrt die Musik in abhackten kurzen Tönen, die von den Streichern dominiert werden. Michaels Mietwagen steht in der Einfahrt, die Kamera fährt an ihm vorbei und zeigt den Kofferraum, auf den Michael beschwörend und wie in Trance die Hände hält. Die Stelle, an der er steht, ist mit einem grellen Licht ausgeleuchtet und gibt der Einstellung einen überirdischen Charakter. Die Musik läuft auf ihren dramaturgischen Höhepunkt zu und wird dabei von lauter werdendem Herzklopfen unterstützt. Dadurch wird der Fokus quasi mittels der Tonebene auf das Wesentliche gerichtet, nämlich auf das Leben, das viele schon im nächsten Augenblick verlieren werden, denn jetzt erklärt die Voice Over des FBI-Mannes die Auflösung des Rätsels: „Everyone, except...you.“ Michael öffnet den Kofferraum und der Ausdruck seines Gesichtes deutet bereits seine grausamen Entdeckung an. Die Ausleuchtung wechselt nun in regelmäßigem Intervall zwischen einem grellen Licht, das blitzartig eingesetzt wird und eben jenen überirdischen Charakter erzeugt und einem Licht, das aus dem Kofferraum zu kommen scheint, so quasi von Michaels Besitz nimmt und ihm trotz des Schocks, der ihm in die Gesichtszüge gemeißelt ist, einen schon teuflischen Charakter verleiht. Dieses eher schwache Licht läßt das gesamte Umfeld Michaels im Dunklen und nur sein Gesicht wird schwach ausgeleuchtet, wobei es dort deutliche Schatten wirft. Hier korrespondiert die Lichtsetzung mit dem, was die Nachwelt später von ihm wissen wird, denn alles, was sich im Vorfeld ereignete, wird im Dunkeln bleiben. Seine Motive und die Hintergründe werden unbekannt sein, während er selbst, losgelöst von dem Geschehen um Oliver Lang der Menschheit als der todbringende Dämon präsentiert werden wird. Und genau zu dem wird er im Moment des Öffnen des Kofferraumes werden. Für Oliver, der das Geschehen von einer entfernten Anhöhe aus betrachtet, ist das Auslösen des Sprengsatzes somit beinahe ein trivialer Akt, der sich mit seinem Ausspruch „Boom.“ einfach darstellen läßt. Die Explosion ist so lediglich das erwartete Finale in einem Spiel, dessen Sieger und Verlierer von Anfang an feststanden. So gesehen beantwortet sich auch letztlich eher beiläufig die Frage, ob Michael denn überhaupt eine Chance gehabt haben mag. Dies scheint nicht der Fall gewesen sein, denn das Verbrennen der Bilder durch Oliver deutet daraufhin, daß alles von langer Hand geplant worden war und Michael schon seit geraumer Zeit als der ideale unfreiwillige Täter auserwählt wurde. Somit wird der Mann, von dem ich als Zuschauer alles zu wissen glaube, zu demjenigen, der der restlichen Welt als Täter präsentiert wird. Von ihm wird man sagen, daß seine Motive ungeklärt sind. Oliver wird hingegen wieder das Leben des biederen Familienvaters führen, der sich mit seiner Frau nach Normalität und Sicherheit sehnt. Beide blicken in der letzten Einstellung auf das verlassene Haus Michaels und erwarten den Umzug in eine andere Stadt. Dort werden sie in einer anderen und vielleicht ebenso von ihnen inszenierten Realität leben, die das Geschehene genauso vergessen machen wird, wie die Schlagzeilen über den Anschlag wieder aus den Nachrichten verschwinden werden. Somit gelingt es Regisseur Pellington letztlich, Oliver nun in die Rolle des schockierten Bürgers schlüpfen zu lassen, der ebenso wie alle anderen fassungslos vor der schrecklichen Tat Michaels steht und nach Außen hin weiter als ganz normaler Mensch auftritt, dem man nichts Böses zutraut und den man gerne als Nachbarn hat. Und keiner wird erahnen, daß das Böse gleich nebenan wohnt.