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3. Wo Licht ist, muß auch Schatten sein

Auch nach dem Vorspann erscheint zunächst eine sehr undeutliche und wenig greifbare Person im Gegenlicht. Doch schnell werden die Konturen deutlich und es wird klar, daß es der im Krankenhaus wartende Michael ist, zu dem sich nun zwei weitere Personen gesellen. Es sind die Eltern des Jungen, Oliver (Tim Robbins) und Cheryl Lang (Joan Cusack). Die undeutliche Darstellungsweise reflektiert hier zwei Aspekte: Zum einen wird klar, daß die Charaktere selbst noch sehr undeutlich sind, denn obwohl Michael für mich zu diesem Zeitpunkt keine fremde Person mehr ist, weiß ich doch nahezu nichts über ihn. Dasselbe gilt für Familie Lang. Zum anderen wird dadurch aber auch angedeutet, daß die Inszenierung eines Alptraums weitergehen wird und daß die Ruhe, in der sich Michael nun wähnt, eine trügerische ist. Auch weicht Regisseur Pellington nicht von seiner Linie ab, die Bilder überzubelichten. Dies kommt dem Traumcharakter weiter entgegen, gaukelt aber eben auch eine trügerische Sicherheit vor. So wird leicht der Glaube erweckt, in diesem besonders hellen Lichte sei alles überdeutlich sichtbar, doch auch dies stellt sich als falsch heraus, schaut man nur einmal näher hin. Sämtliche Feinheiten, wie etwa die der Haut, verschwimmen in diesem hellen Licht und werden unsichtbar, verwischen oder werden erst bei sehr genauem Hinsehen deutlich. Besonders auffällig in dieser virtuosen Ausleuchtung ist dabei der starke Gegensatz zwischen hellen und dunklen Flächen. Wenn etwa Michael an einem Wasserspender trinkt, dann „saufen“ weite Teile seines Gesichtes nahezu völlig ins Schwarze ab, während der Hintergrund und auch sein weißes Hemd in einem merkwürdigen und fremdartigen Zwielicht erleuchtet werden. Zudem erhält sein eher dunkles Gesicht eine scharfe Kante in den Bereich von Stirn und Nase, was der Einstellung einen unwirklichen Charakter verleiht.

Bei der Ausleuchtung der nächtlichen Arlington Road selbst nutzt Pellington eine ähnliche Ausleuchtung, denn obwohl die Straße selbst im high-key-Stil ausgeleuchtet wird, befinden sich die umliegenden Häuser schon im Dunklen und nur die hell erleuchteten Fenster lassen die Umrisse der Häuser teilweise erahnen. Während eine Fassade des Hauses des Langs noch gut zu erkennen ist, zeigt nur noch die Beleuchtung des Fußweges zur Haustür eine einigermaßen klare Konturierung. Doch selbst die Straße, auf der ein vorbeifahrender Streifenwagen Sicherheit demonstrieren will, wird immer wieder durchschnitten durch scharfe Schatten von Ästen, deren bizarre Formen erahnen lassen, daß auch diese scheinbar sichere Umgebung von einer bösen Macht heimgesucht werden wird.

Überhaupt verbergen viele Einstellungen oftmals mehr als sie zeigen. Auch als sich die Langs mit Michael im Wartezimmer des Krankenhauses unterhalten, daß durch seine Aufschrift „Family Waiting Room“ den Aspekt der Familie einmal mehr unterstreicht und damit die Selbstverständlichkeit der Familie als Institution betont, verschwinden große Teile der Umgebung im Zwielicht und fokusieren damit den Blick deutlich auf die drei Personen, die hier wichtig sind. Doch auch hier weist Pellington geschickt darauf hin, daß Oliver Lang lediglich seinen Platz in einer Kulisse einnimmt, nicht aber seine wahre Persönlichkeit offenlegt, denn auch er verschwindet fast in der Dunkelheit, denn seine dunkle Kleidung bietet in dem dunklen Raum wenig Kontrast. Lediglich sein Gesicht und sein weißes Hemd, welches aber schon wieder durch die Krawatte teilweise bedeckt ist, stechen hervor, während seine Frau überwiegend helle Kleidung trägt, wobei auch hier ihr dunkler Rock andeutet, daß auch sie intime Details zu verbergen sucht. Insbesondere das Verhalten von Oliver kann so als der erfolgreiche Versuch gewertet werden, in der Umgebung völlig unterzutauchen, nutzt er doch seine Kleidung gleichsam wie einen Tarnanzug. Immer dann, wenn er sich in seinem häuslichen oder nachbarlichen Umfeld aufhält, wird er seine Kleidung bewußt so wählen, daß er mit der Umgebung zu verschmelzen scheint und damit den Eindruck erwecken, er gehöre mit absolutem Selbstverständnis dorthin.

Als Beispiel für dieses Verhalten möchte ich die Sequenzen nennen, in der ihn Michael in seinem Haus besucht, um ihm den scheinbar fehlgeleiteten Brief zu bringen. Mit kleinen, aber wirkungsvollen Andeutungen schafft es Pellington, den Zuschauer permanent zu verunsichern. Zum einen steht gleich zu Beginn dieser Sequenz überdeutlich das Familienfoto der Langs im Vordergrund und konfrontiert somit mit einer wahren Postkartenidylle, doch als Michael und Oliver zusammen in die Küche gehen, trennen sich ihre Wege, denn während Michael vor die Anrichte läuft, geht Oliver hinter sie, so daß er nur noch ab der Hüfte aufwärts zu erkennen ist, er bestimmte Körperteile, die somit gleichsam für seine Person als Ganzes stehen, bewußt im Verborgenen läßt. Die Wände des Raumes sind weiß bemalt, während verschiedene Nischen in den Wänden eher dunkelblau sind. Die Anrichte der Küche erstrahlt in Blau und in verschiedenen Abständen befinden sich im Raum diverse Lichtinseln. Oliver Lang trägt hierbei eine weiße Hose, einen weißen Pullover und eine dunkelblaue Strickjacke und korrespondiert sozusagen mit der farblichen Gestaltung des Raumes. Michael hingegen trägt ein hellgraues Hemd und in eben jener Farbe ist auch der Hintergrund am Fenster der Eingangstür ausgeschlagen, so daß Michael eindeutig als jemand identifizierbar ist, der von außen kommt und nicht in dieses Haus gehört. Oliver hingegen ist  deutlich als fester Bestandteil des Hauses gekennzeichnet. Tim Robbins spielt dabei auch gezielt mit dem vorhandenen oder nicht vorhandenen Licht, um den von ihm verkörperten Oliver dieser Umgebung noch besser anzupassen. Überhaupt ist es häufig sehr schwer, die korrekte Farbe der Kleidung zu erkennen, denn diese verändert sich je nach Lichteinfall. Wenn Oliver Lang seinen Nachbarn Michael zur Tür begleitet, ist im Hintergrund ein schwarzes Möbelstück zu erkennen und auch in diesem Moment erscheint Olivers Strickjacke eher schwarz und als solche ist sie auch zumeist erkennbar, doch sein Gang an verschiedenen Lichtquellen vorbei offenbart, daß es sich hierbei um eine blaue Jacke handelt, die nur schwarz erscheint, wenn das Licht nicht direkt auf sie fällt. Bezogen auf die Person des Oliver Lang heißt das zwangsläufig, daß, um ihn exakt beurteilen zu können, ein sehr genaues Hinsehen erforderlich ist, gelingt es ihm doch immer wieder, seine wahren Absichten auf den ersten und oft auch zweiten Blick zu verheimlichen. Eine solche Gelegenheit stellt auch die Auseinandersetzung im Garten von Michael Farraday dar, bei der Oliver diesen mit seinen Nachforschungen konfrontiert und ihm einleuchtende Erklärung zu seinen Mutmaßungen liefern kann. Der Garten des Hauses ist eher trist und mit einem schmucklosen Bretterzaun umgeben, dessen Holz schon stumpf und ein wenig abgegriffen wirkt. Darüber sind die Dächer der dahinterliegenden Häuser zu erkennen, wobei deren Räumlichkeiten nicht einsehbar sind. Erneut bleiben deren Bewohner im Verborgenen. Es gibt nur Michael und Oliver, was bereits hier den Charakter eines Duelles haben mag, bei dem es nur auf die beiden Kontrahenten ankommt. Doch selbst in einer Situation, in der Oliver klar ist, daß ihm Michael dicht auf den Fersen ist, fällt dieser niemals aus der Rolle. Seine Antworten müssen in Michael Schuldgefühle hervorrufen, denn dieser weiß sehr wohl, daß er sich in die privatesten Angelegenheiten seines Nachbarn einmischt. Olivers Stoffhose wie auch dessen Strickjacke haben exakt die Farbe des Holzzaunes und der umliegenden Dächer, was einmal mehr zeigt, daß er seine Tarnung als biederer Familienvater nicht aufgeben wird. So liefert er beinahe schon zu perfekte und einleuchtende Antworten auf jede von Michaels Fragen. Seine Fähigkeit, niemals „aus der Rolle“ zu fallen, zeigt sich nun darin, daß Schauspieler Tim Robbins erneut virtuos mit Licht und Schatten spielt, indem er sich im Garten so positioniert, daß der Schatten, der auf seinen Körper fällt, die exakte Fortführung von Linien darstellt, die sich in der Umgebung durch Dachfirste oder andere Kanten auftun.