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6. Schreie der Seele

„Everyman before he dies, shall see the devil.“


            Englisches Sprichwort, um 1560


Harry trifft sich mit Ethan Krusemark, Margarets Vater, an einer Pferderennbahn. Parkers visuelle Hinweise werden immer deutlicher, sind doch beide Strecken streng voneinander getrennt, führen aber doch zum selben Ziel, was als Indiz für Harrys doppelte Persönlichkeit ist, die er in sich trägt. Harry erhofft sich letztlich von Ethan Krusemark Antworten, doch das Gebräu, das dieser zubereitet, hat nichts von dem Lebenserhaltendem, das Essen für gewöhnlich anhaftet, sondern deutet vielmehr mit seiner Ähnlichkeit zu den Feuerseen des Hölle an, daß hier die Mächte der Hölle am Werke sind. Das Einstechen auf einen Eisblock ist nicht nur ein Omen für den bevorstehenden Mord an Krusemark, sondern auch ein Zeichen dafür, daß die Wahrheit Stück für Stück freigelegt wird. Als Krusemark Angel die gesamte Wahrheit beichtet, kann dieser sich nur noch übergeben, was wohl als der verzweifelte Versuch seines Körpers gewertet werden muß, das gestohlene und gegessene Herz wieder abstoßen zu wollen und die Existenz des Harry Angel aufrechtzuerhalten, obwohl die Beweise erdrückend sind und sich langsam die Erinnerungen zu einem ganzheitlichen Bild formen. Das Geräusch eines schlagenden Herzens verdichtet die Spannung bis ins Unerträgliche. Der einsetzende Platzregen, im wahrsten Sinne des Wortes eine  Sintflut, kann das Böse nicht fortschwemmen, dessen sich Angel bald bewußt sein wird, als er die Wohnung der ermordeten Margaret Krsuemark aufsucht. Die Welt des Harry Angel geht unter.
Die Spannung, die sich über das Geräusch des Herzschlages gesteigert hat, wird erst in dem Moment aufgelöst, als Angel die kleine Vase mit der Kennmarke, die er bei einem früheren Besuch bereits in Händen gehalten hatte, jedoch nicht zuordnen konnte, zerschlägt. Das Geräusch des Herzschlages setzt mit einem Schlage aus, so als entweiche mit der so lange verborgenen Wahrheit auch ein Geist, der im Inneren der Gefäßes gefangen war. Angel muß nun der bitteren Wahrheit ins Auge sehen und erkennen, daß er sich all die Zeit selbst gejagt hat und dieser Prozeß der Selbstfindung nun beendet ist. Am Ende seines Weges angekommen, erwartet ihn nun auch, stilecht angekündigt durch einen Donnerschlag, Louis Cypher und Angel muß, die Wahrheit zunächst negierend, erkennen, daß es sich um Luzifer persönlich handelt, in dessen Dienst er stand und der sein grausames Spiel mit ihm spielte. Aus seinem tiefsten Inneren heraus schreit die Seele des Harry Angel, getrieben vom Wunsch nach Vergebung und Vergessen, aber in erster Linie aus tiefster Verzweiflung heraus.
Regungslos verharrt Cypher dabei in einem Ohrensessel und bildet somit das Gegenstück zu der klassischen Vorstellung, die Gott als einen weisen Mann mit einem Bart der in seinem Stuhl sitzt und gütig auf die Menschen hinabschaut, zeigt. Cyphers Kleidung ist schwarz, ebenso sein wallendes Haar und sein mit mystischen Motiven versehener Stock. Mit den Nägeln, die zur vollen Länge gewachsen sind und seinem langen Haar offenbart er sich nun endgültig. Auch schaut er von unten zu Johnny herauf, was keineswegs als Zeichen von Schwäche zu verstehen ist, sondern eine Andeutung der Tiefen der Hölle darstellt, zu denen er Harry alias Johnny bald mitnehmen wird. Als einziges direktes Zeichen des Übernatürlichen blickt ihn hierbei Cypher alias Luzifer mit gelb-leuchtenden Augen an und macht ihm klar, daß es kein Entkommen mehr gibt. Weder vor ihm noch vor seiner Vergangenheit, denn „No matter how cleverly you sneak upon a mirror, the reflection looks you straight in the eye.“ Es ist somit auch kein Wunder, daß Angel in einen Spiegel blickt, als er mit ersterbendem Widerstand erkennen muß, daß nun alle seine Erinnerungen sich zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Luzifer greift nach Harrys Waffe, die am Boden liegt sowie nach einer Schallplatte, die er auflegt. Johnny/Harry muß nun feststellen, wie auch die Erinnerungen an die von ihm begangenen Morde zurückkehren und daß er diese offenbar mit großer Befriedigung ausführte. Die Musik bildet dabei den letzten Stein eines Mosaiks, denn es handelt sich dabei um den Song „Girl from my dream“, mit dem Johnny einst berühmt wurde und das von Harry wieder und wieder gepfiffen wird, ohne daß er den näheren Hintergrund dieser Melodie kennt, die zur Verstärkung immer wieder in zahllosen Variationen, etwa mit Klavier oder Saxophon, eingestreut wird und letztlich auch von Epyphany gesummt wird. Die Erinnerung an den Schrei Epyphanys läßt ihn aufspringen, um zu retten, was zu retten ist, doch auch hier kommt er zu spät, denn diese ist bereits tot, als er in seinem Hotelzimmer eintrifft, denn Cypher, der in der Verkleidung einer vermummten Gestalt am Eingang sitzt, hat bereits dafür gesorgt, daß die Anzeichen an Epyphanys Tod eindeutig auf Angel weisen. Dieser muß letztlich seinen letzten Widerstand aufgeben und erkennen, daß er nie eine Chance gehabt hatte und nur mit geborgter Zeit gelebt hat, die jetzt abgelaufen ist. Der Sohn Epyphanys streckt die Hand aus, als wolle er nach ihm greifen und in der Tat ist es der Teufel selbst, der die Hand nach ihm ausstreckt, denn auch die Augen des Jungen leuchten diabolisch gelb, als dieser ihn anstarrt und verschafft Angel und mir den letzten finalen Angstschauer. Und tatsächlich scheint es hier der Sohn Satans zu sein, denn Epiphany sprach davon, daß das Kind aus dem Geschlechtsverkehr mit dem Leibhaftigen selbst hervorgegangen ist. („It was the best fuck I ever had.“). Sie bildet damit das Gegenstück zu Maria, die Jesus durch unbefleckte Empfängnis bekommen hat, während davon hierbei nun wirklich nicht die Rede sein kann. Doch Parkers bildgewaltiges Werk endet erst zusammen mit dem Abspann, in dem Angel immer wieder in bizarren Licht- und Schattenkonstellationen in einem Aufzug, der direkt nach unten, gleichsam in die Hölle, führt, zu sehen ist und ein Saxophon seine letzte Reise begleitet. Erst mit dem Ende des Filmes verstummt sein Herzschlag und auch die Stimme, die immer wieder den Namen „Harry“ und schließlich „Johnny“ flüstern und übrigens von Regisseur Alan Parker selbst stammt, schweigt dann, als Angel in einem standbildähnlichen Bild verharrt, wobei die Frage, ob er sich im Fahrstuhl erhängt hat, nahe liegt, jedoch nicht eindeutig beantwortet werden kann.
Gerade dann, wenn das gesamte Geschehen um Harry Angel aufgedeckt worden ist, wird deutlich, wie stark sich der Film an klassischen Motiven aus Goethes „Faust“ orientiert. Zunächst ist da der Handel des Sängers mit dem Teufel, der ihm, als Preis für seine Seele, Ruhm und Geld verspricht, doch auch das Schauspiel Robert De Niros weckt Assoziationen zu der berühmten Interpretation des Mephisto durch Gustav Gründgens, dem immer wieder vorgeworfen wurde, seine Darstellung zu ironisch und geradezu witzig und sympathisch zu interpretieren. Gekrönt wird dies durch De Niros Äußerung, bei der er geradezu auf die Person des Mephisto verweist, wenn er sagt „Mephistopheles is such a mouthflue in Manhattan, Johnny.“