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5. Sex mit einem gefallenen Engel

„Was mich erschreckte, das kam über mich. Wovor ich bangte, das traf mich auch. Noch hatte ich nicht Frieden, nicht Rast, nicht Ruhe, da fiel neues Ungemach mich an.“

Hiob 3, 25-26

Die Kälte, die sich im Leben der Personen, insbesondere in dem des Harry Angel ausbreitet, setzt sich auch in seinem Sexualleben fort. So trifft er sich in einer Bar mit einer Freundin, die wohl von Zeit zu Zeit Aushilfsarbeiten für ihn ausführt, um die Unterlagen, die sie über Johnny Favourite zusammentragen konnte, in Empfang zu nehmen. „Where the fuck are you?“ fragt er das Bild des Sängers und eben genau damit beantwortet er auch die Frage, wie er sich bei seiner Bekannten für deren Mühe zu revanchieren gedenkt, denn schon die nächste Einstellung zeigt beide auf dem Bett. Bemerkenswert ist, daß dem folgenden Vorgang jegliche Sinnlichkeit und Erotik fehlt und es sich wirklich nur um den mechanischen Vorgang des Miteinander-Schlafens handelt. Während die Frau von Harry entkleidet wird, plaudern beide weiter über den verschwundenen Sänger. Sie hätten dabei auch jeder beliebigen anderen Tätigkeit nachgehen können, so daß ich mich frage, warum sie überhaupt miteinander schlafen, denn beide agieren im selben Tempo wie zuvor, so daß weder ein besonderes Interesse am Körper des Gegenüber noch am Empfange von Zärtlichkeiten besteht. Der Rhythmus, der in solchen Fällen oftmals verlangsamt wird, um die Bedeutung des Momentes und der Gefühle zueinander zu unterstreichen, verändert sich nicht. Auch fehlt der Umgebung jedes Anzeichen, daß sich die beiden wohl in der Nähe des Gegenüber fühlen. Vielmehr inszeniert Parker, als handele es sich um eine x-beliebige Tätigkeit an einem x-beliebigen Ort. Erotische Momente wie ein gegenseitiges Ausziehen sowie ein Entdecken des anderen Körpers entfallen schon deshalb, weil sich jeder selbst eines Großteils der eigenen Kleidung entledigt. Läßt das langsame Abstreifen des Damenschuhes noch ein Mindestmaß an Sinnlichkeit zu, so wird dies durch das darauf geworfene Hemd im Ansatz erstickt. Die Kamera zeigt desweiteren somit schlichtweg die notwendige Bewegung, um das Ziel zu erreichen. Bestimmte Handgriffe sind beispielsweise nötig, um den Strumpfhalter zu lösen und Harry tut nur diese absolut notwendige Bewegung. Der Griff an den Schenkel vollzieht er rein mechanisch und aus Gewohnheit und nicht, um seiner Partnerin wenigstens etwas Zuwendung zukommen zu lassen. Genuß kann es dabei nicht geben. Ganz anders wird dagegen Epiphany Proudfoot inszeniert. Sie ist ebenso wie Angels Freundin eine Schönheit, doch wird sie auch als solche inszeniert. Anders als zuvor nimmt sich die Kamera die Zeit, Momente von alltäglicher Schönheit zu zeigen, wenn etwa das Wasser über Haare, Gesicht und Nacken laufen. Ihr nasses Shirt, grundsätzlich ein Symbol für Erotik und Sinnlichkeit, läßt vieles an ihrem Körper erahnen oder zeigt es eindeutig. Auch sind ihre Bewegungen und ihre Sprache viel weicher und geschmeidiger. Auch Angel reagiert in ihrer Nähe anders. Zwar macht ihm die fast schon greifbare drückende Schwüle sehr zu schaffen, er schwitzt stark, die Menschen beobachten ihn skeptisch und als er die Brille mit dem Nasenschutz aufsetzt, ist im Hintergrund der Schrei eines Kindes zu hören. Doch ist es Epiphany, die mit ihrem Sohn daherkommt, um das Grab der Mutter zu besuchen. Angel will nicht entdeckt werden und beobachtet sie hinter Bäumen und Gebüsch stehend. Allein dadurch entsteht hier eine Art von Spiel, da sein Tun wenig zweckorientiert wirkt, denn der direkte Weg wäre gewesen, sich einfach vorzustellen, während Angel nun die Position eines Beobachters einnimmt, der vielleicht etwas Verbotenes tut. Und in der Tat beginnt hier, und damit wird erneut der Einfluß des Bösen deutlich, eine Beziehung, die sich letztlich als Inzestverbindung herausstellen wird und die ganze Tragik der Person des Harry Angel zeigt, zumal er hier erneut unwissentlich handelt, was an griechische Dramen im Stile eines Ödipus erinnert, der unwissentlich mit seiner Mutter schläft. Allein die Tatsache, daß es sich bei Epiphany um eine der wenigen attraktiven Personen handelt, verdeutlicht ihre ungeheure Anziehungskraft, die von ihr ausgehen muß. Unterstrichen wird dies zudem durch ihren Namen, bedeutet doch eine Epiphanie die Erscheinung des Göttlichen. Doch die vermeintlich Göttliche wird sich hier letztlich als sein Verhängnis herausstellen. Als sie ihn in seinem gemieteten Zimmer besucht, entsteht zum ersten Mal eine Form von Gemütlichkeit, wenn draußen das Unwetter tobt und drinnen beide mehr schlecht als recht versuchen, das eindringende Wasser aufzufangen. Im Zusammensein mit ihr kann Angel sogar lächeln. Beim Sex kommt dann aber wieder Angels wahre Natur zum Vorschein. Der eindringende Regen steigert sich analog zu den Bewegungen der beiden immer orgiastischer und verbindet sich letztlich mit Blut, steht dieses doch für die begangene Blutschande, aber auch erneut für den religiösen Aspekt, denn bereits Moses versuchte mit der Verwandlung des Nils zu Blut, das Herz des Pharaos zu erweichen. Die Stellen der Decke, an denen das Wasser hindurchsickert, verfärben sich und scheinen selbst zu bluten, was an die Wundmale Jesu erinnert, der für die Sünden der Menschen starb. Angel begeht jedoch gerade hier eine seiner schwersten Verfehlungen. Auch der Mord an Winesap wird während des immer orgiastischer werdenden Liebesspieles angedeutet und die Kreaturen der Hölle vergnügen sich dabei als Zeichen der immer größer werdenden Sünde des Harry Angel in ausschweifendem Gelage miteinander . Die sich gegenläufig bewegenden Räder stehen für den Kampf der beiden Existenzen miteinander. Die Bestie Mensch ist entfesselt und fast kostet es Epiphany das Leben. Nur ihr verzweifeltes Schreien holt Harry zurück und so darf das Zerschlagen des Spiegels als ein letzter Versuch gelten, diese andere Seite vernichten zu wollen. Das Gesicht im zersplitterten Glas des Spiegels ist somit auch Ausdruck seiner gespaltenen Persönlichkeit und Vorbote des Kommenden, das die Schlinge immer enger um seinen Hals ziehen wird.