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II.1. Marlene Dietrich blaue Engel (Deutschland 1930, Regie: Josef von Sternberg)

II.1.1. Der blaue Engel (Deutschland 1930, Regie: Josef von Sternberg)
Marlene Dietrich spielt in diesem Film ihre erste Hauptrolle. Als Nachtclubsängerin Lola Lola verdreht sie dem Hochschullehrer Rath (Emil Jannings) den Kopf und wird ihn so schließlich zum Verhängnis.
Die Attraktivität, die von Lola Lola ausgeht, wird bereits dann deutlich, wenn von Marlene Dietrich selbst noch gar nichts zu sehen ist. Öffnet sich ein Rolladen und gibt den Blick auf ein Plakat frei, das die allabendliche Show im „Blauen Engel“, einer Spelunke im Hafenviertel, anpreist, so wirkt dies mit seinem eindeutig präsentierenden Charakter wie der Beginn eines Theaterstückes. Der Blick wird dabei sofort auch auf die Beine der Dietrich gelenkt und ihr sexueller Reiz damit unterstrichen. Auch Professor Rath erliegt bereits den Reizen, die einzig von ihren Photos ausgehen, wenn er zunächst zaghaft und verstohlen die Federn wegpustet, die den Blick auf die Beine Lola Lolas verhüllen. Marlene Dietrich, so deutet es sich bereits hier an, soll die Projektionsfläche für die unterdrückte Sexualität des Lehrers werden und somit auch zu der des damaligen Publikums.
In der ersten Einstellung, die Marlene Dietrich zeigt, ist sie in einem dunklen und doch schillernden Kleid zu sehen, wie sie ihren Auftritt auf der Bühne des „Blauen Engels“ probt. Sie dreht ihren Oberkörper lässig aus der Hüfte, ihre Hände hat sie in die Seiten gestützt. Der Hintergrund bildet ein Arrangement aus beweglichen Wolken und einer strahlenden Sonne. Dennoch wirkt alles sehr dunkel und unübersichtlich, was durch die sich hin- und herbewegenden Wolken deutlich unterstützt wird. Marlene Dietrichs helle Haut, die hier in der Tat wie eine strahlende Sonne zwischen dunklen Wolken wirkt, kommt dadurch besser zur Geltung und ihr Haar erhält zudem ein Spitzenlicht. Überhaupt spielt in den Kompositionen von Sternbergs Licht eine bedeutsame Rolle. Er selbst bestätigt dies Jahre später in seiner Autobiographie: „Ich tauchte sie in Licht, bis die Alchemie gelungen war (...). Sie erwachte zum Leben.“   All dies hat zur Folge, daß der Blick des Zuschauers unweigerlich auf Marlene Dietrich und insbesondere auf ihr Gesicht gelenkt wird, bietet es doch in dem ansonsten dunklen Bild den einzigen Fixpunkt. Diese Lenkung des Blickes, auch auf Marlene Dietrichs Beine, die ebenso stark betont werden, bestätigt von Sternberg, wenn er sagt: „Ich dramatisierte ihre Eigenschaften und machte sie für alle sichtbar.“  Dazu nutzt er eben gerade auch die Umgebung, die Situation und eben auch einzelne Requisiten, wenn beispielsweise in einem Zwischenschnitt ein kleiner Engel auftaucht, der mit dem Arm auf Marlene Dietrich zeigt, was sicherlich nicht nur präsentierenden, sondern eben auch eindeutig phallischen Charakter hat.
Ein weiteres Mittel, dessen sich von Sternberg bedient, eine Person als besonders attraktiv und begehrenswert darzustellen, ist, dieser Person Menschen gegenüberzustellen, die all das, für was Marlene Dietrich steht, eben nicht verkörpern. Und so sind die Kolleginnen der Lola Lola nicht sonderlich attraktiv, um nicht zu sagen, recht häßlich. Zudem rauchen sie und bewegen sich auch alles andere als damenhaft. Doch während dies bei ihnen, wohl auch durch das düstere Erscheinungsbild eher abschreckend wirkt, ist dies bei Marlene Dietrich gänzlich anders. So ist die hohe Stimme der Dietrich fordernd, selbstbewußt und geradezu keck, wenn sie den Text in Berliner Dialekt dahinschnoddert, während ihre Kollegin später mit tiefer Stimme denselben Text mit fast schon unbeholfener Gemütlichkeit heruntersingt. Marlene Dietrich dagegen hält ihr Bierglas in der Hand, unterbricht souverän auch den Text des Liedes, während die Musik weiterspielt, um aus dem Glas zu trinken und steigt daraufhin an der richtigen Stelle wieder ein. Gerade in dieser unkomplizierten Fröhlichkeit wird deutlich, was von Sternberg meint, wenn er sagt: „Marlene ist Venus, die von ihrem Sockel steigt und mit jedem X-Beliebigen übers Wetter redet.“
Und die X-Beliebigen sind in diesem Falle die Schüler, die sie anhimmeln. Wenn Marlene Dietrich einen Rock trägt, der mit dem im Hintergrund aufgemalten Springbrunnen korrespondiert, dann mag dies auch die Anspielung auf die Fruchtbarkeitssymbolik sein, die man dem Wasser, und damit ihr, zuschreibt. Nicht zu vergessen ist dabei natürlich auch ein voyeuristisches Element, wenn sie beim Umdrehen tiefere Einblicke in auf ihren textilfreieren Rücken zuläßt. Und in diesem Kostüm singt sie nun allabendlich im „Blauen Engel“ ihr Lied „Kinder, heut´ Abend da such ich mir was aus“ und zum Klang dieses Stückes wird sie sich nun nicht die Schüler oder einen anderen X-Beliebigen aussuchen, sondern Rath, der sich in die Kaschemme begibt und sich dort zunächst in einem Fischernetz, welches zur Dekoration gehört, aber eher einem riesigen Spinnennetz gleicht, verfängt. Und die Spinne, die ihre Beute erspäht hat, ist eben Lola Lola. Beim Nähertreten erfaßt sie ihn mit einem Scheinwerfer und macht ihn somit zu ihrem Auserwählten. Gerade hier wird deutlich, daß es zu einem Star auch gehört, trotz aller Unnahbarkeit eben wenigstens die Illusion zu vermitteln, sie oder ihn erreichen zu können. Und nichts anderes geschieht doch gerade dann, wenn Lola Lola von dem Mann singt, den sie sich auswählen wird und dabei permanent Professor Rath zu sehen ist, reflektiert er doch eben nicht den Typ des Traummannes, sondern den ganz gewöhnlichen Mann, bei dessen Anblick sich vielleicht sogar manch ein anderer durchschnittlich aussehender Zuschauer noch besser fühlen kann und sich somit der Hoffnung hingibt, daß es um ihn selbst ja so schlecht nicht bestellt sein kann, wenn selbst so jemand wie Professor Rath zum Objekt einer Frau wie Lola Lola werden kann.