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II.1.2. Morocco (USA, 1930)

„Morocco“ (Regie: Josef von Sternberg) ist Marlene Dietrichs erster Film in Hollywood und wahrscheinlich der Film, der ihr Image von nun am stärksten beeinflussen soll, da er ihren einzigartigen Auftritt unvergessen macht. Sie verkörpert die Tingeltangel-Sängerin Amy Jolly, die sich in den Fremdenlegionär Tom Brown (Gary Cooper) verliebt und ihm schließlich in die Wüste folgt.

Bereist Marlene Dietrichs erster Auftritt in „Morocco“ macht deutlich, daß sie gänzlich anders inszeniert werden wird, als Sternberg dies noch kurz zuvor im „Blauen Engel“ tat. Amy Jolly ist zum ersten Mal auf dem Schiff zu sehen, daß sie nach Marokko bringt. Mystisch und geheimnisvoll kommt sie aus dem Nebel und deutet somit an, daß sie eine Frau mit Vergangenheit sein muß, die sie hinter sich gelassen  hat und über die keine der Personen jemals etwas erfahren wird. Marokko ist Ziel und Endstation zugleich. Eine Perspektive scheint es für sie dort nicht mehr zu geben. Sternberg arbeitet auch in dieser Sequenz mit starken Kontrasten: Amy Jolly ist die einzige Person, die aufgrund ihrer Kleidung sofort auffallen muß, denn sie trägt im Gegensatz zu den eher heller gekleideten übrigen Passagieren auf dem Schiff ein völlig schwarzes Kostüm. Ihr Gesicht ist mit einem Schleier, der sich fast nur erahnen läßt, leicht verhüllt. Während alle Passagiere an Deck still warten, ist sie die einzige Person, die sich bewegt, wenn sie fast schon burschenhaft in Richtung der Reling läuft. Ihr Koffer öffnet sich und ihre wenigen Habe fallen zu Boden. Amy Jolly blickt sich um und bückt sich erst in dem Moment nach ihren Habseligkeiten, als sie erkennt, daß ein Herr zu ihr läuft, um ihr beim Einsammeln zu helfen. Doch als er sie erreicht, steht sie auf und blickt beinahe emotionslos und abwesend ins Nichts. Der Inhalt ihres Koffers erscheint ihr bedeutungslos genug zu sein, daß ihr es nicht einmal wichtig erscheint, ob alles wieder im Koffer verstaut ist, als sie diesen schließt. Auch an der Hilfe, die ihr der Mann in Marokko anbietet und ihr dazu seine Visitenkarte überreicht, hat sie wenig Interesse. Emotionslos, mit einer Spur Resignation, bedankt sie sich leise, scheint dies fast nur zu tun, um die Etikette zu erfüllen und schlendert mitsamt ihrem Koffer zur Reling, auf der sie ihn dann abstellt. In diesem Moment hätte ich viel zu große Sorge, daß mir der Koffer mitsamt seinem Inhalt ins Wasser fallen könnte, doch all dies beschäftigt Amy Jolly nicht, da ihre wenigen Besitztümer, wohl ein letztes Überbleibsel aus dem Leben, das sie hinter sich gelassen hat, wenig zu bedeuten scheinen. Für den helfenden Herrn gut sichtbar zerreißt sie dessen Visitenkarte und schnippt die Papierfetzen ins Wasser. Hilfe benötigt sie keine, denn sie ist eine Frau, der das eigene Schicksal gleichgültig geworden ist. Aufgrund der Perspektivlosigkeit, wohl nie wieder aus Marokko herauszukommen, sind ihr die Gefahren und Widrigkeiten, die sie dort erwarten könnten, somit auch gleichgültig. Ohne Groll beobachtet sie der Mann und geht daraufhin zum Kapitän des Schiffes, um sich nach Amy Jolly, von der er nicht einmal den Namen kennt, zu erkundigen. Der Kapitän bestätigt dann das, was ohnehin schon klar ist: Die Frau hat kein Ticket für die Rückfahrt gebucht hat und wird ihr Dasein wohl als Tingeltangel-Sängerin fristen.

Das Fehlen jeglicher Perspektive wird nochmals dadurch unterstrichen, daß sich, durch die Montage verdeutlicht, die Blicke der beiden Personen nicht mehr treffen werden. Während der noble Herr zu Amy Jolly herüberblickt, schaut diese zum nahen Hafen und auf das Land, das vor ihnen liegt und voller Ungewißheiten und einer unsicheren Zukunft sein wird, ohne daß die Kamera die Aussicht, die sich ihr bietet, dem Zuschauer nochmals zeigt.

Bereits die nächste Sequenz bestätigt die Vermutung des Kapitäns, wenn die Kaschemme gezeigt wird, in der Amy Jolly gleich auftreten wird und die sich zum Sammelbecken aller nur möglichen gesellschaftlichen Gruppen entwickelt hat. Wohlhabende wie Habenichtse und Einheimische sitzen hier beieinander und suchen Zerstreuung in den Darbietungen.

Amy Jolly bereitet sich in ihrer Garderobe auf ihren Auftritt vor. Überlegt wirft sie einen letzten Blick auf ihr Äußeres und trällert dabei leise das Lied vor sich hin, daß sie gleich darbieten wird. Sie macht einen ruhigen und gelassenen Eindruck und gerade dies soll die Einleitung für eine weitere Kontrastierung sein, die von Sternberg hier nutzt und die einmal mehr zeigen soll, daß Marlene Dietrich hier sehr wohl auch männliche Attribute zugeschrieben werden können. Ihr gegenübergestellt wird nämlich ein Mann, dem ich nicht unbedingt ein besonders männliches Verhalten zuschreiben würde. Während die Bewegungen der Dietrich kontrolliert und ruhig sind, sind die des Managers hektisch und oftmals unbeholfen. Schwitzend sucht er den Weg in ihre Garderobe und während Amy Jolly ihren Fächer eher zur Zierde oder beiläufig nutzt, muß der Manager regelmäßig zu ihm greifen, um der Hitze wenigstens etwas entgegensetzen zu können, während Marlene Dietrich sich von dieser wenig beeindruckt zeigt. Der Manager dagegen wischt sich immer wieder mit einem Taschentuch den Schweiß vom Körper, der sich aber immer wieder zeigen wird, was vielleicht auch an der Hektik des Mannes liegen mag. Selbst die beiden Frauen, die er im Gang antrifft, nutzen ihre Fächer mit langsamen gleichmäßigen Bewegungen, da sie ohnehin regungslos in der Ecke sitzen und vielleicht von manchen gerade deshalb gar nicht erst wahrgenommen werden. Auch der Manager versucht sich nun mit gutgemeinter Hilfe für Amy Jolly, indem er ihr Ratschläge gibt, wie sich eine typische Frau, die genau Amy Jolly aber nicht ist, in ihrer Situation zu verhalten habe und ihr alsbald vorschlägt, sich einen Offizier als Beschützer zu suchen, da dieser auch finanziell besser gestellt sei. Auf keinen Fall solle sie auf diejenigen hereinfallen, die vorgeben, hier ihre Vergangenheit hinter sich lassen zu wollen, wobei er damit unbewußt genau den Grund nennen mag, der Amy Jolly dorthin verschlagen haben mag. Überhaupt kann ich den Manager nicht allzu ernst nehmen, denn auch auf der Bühne verhält er sich eher tolpatschig, stolpert, fällt in den Vorhang und rappelt sich nur mit Mühe wieder auf, um dann auf einem Stuhl Platz zu nehmen, der an die Sitzmöbel antiker Herrscher erinnert, um von dort seine Begrüßungsrede an das Publikum zu halten. Doch auch diese besitzt eher ironische Untertöne, wenn er zu erklären versucht, daß es ihm unverständlich sei, warum sein Personal trotz der hohen Löhne, die er vorgibt zu zahlen, so häufig wechselt. Der Auftritt von Amy Jolly steht dann jedoch in direktem Gegensatz zu dem Herumgewusel des Managers. Langsam und sicher schreitet sie auf die Bühne, die Zigarette in der Hand und den Zylinder auf dem Kopf. Eine Hand hat sie lässig in der Hosentasche vergraben, als sie ohne die Anzeichen von Aufregung oder Nervosität auf der Lehne des Stuhles Platz nimmt, während zu ihren Füßen ein Großteil des Publikums laut schreit und pfeift. Die Großaufnahme ihres Gesichtes verdeutlicht diesen Moment der inneren Ruhe und des Abwartens. Fast schon einer Photographie gleich wirkt diese Einstellung. Ihre Haare erhalten ein zartes Spitzenlicht und geben ihr fast schon die Aura einer Heiligen. Erneut entsteht ein Kontrast, jedoch stellt ihr von Sternberg nun nicht einen Mann gegenüber, sondern läßt die Begleiterin des Fremdenlegionärs (Gary Cooper) agieren. Diese hetzt mit schriller Stimme das Publikum gegen sie auf. Ihr fülliger ausladender Körper ist unter einem weißen, wallenden Hemd verborgen, die tiefschwarzen Haare sind streng nach hinten gekämmt. An ihrem Körper trägt sie zahlreichen Schmuck, womit sie insgesamt des Klischee der typischen Zigeunerin verkörpert. Ganz anders dagegen die Dietrich, die einfach „nur“ da ist und damit schon genügend Präsenz beweist, um dem hektischen Treiben der Einheimischen entgegenzuwirken. Ihr kurzes gelocktes blondes Haar mit dem Spitzenlicht, ihr Verzicht auf jeglichen Schmuck und ihr enganliegender Frack, der besonders körperbetont ist, tun ein übriges. Ihre Stimme, deren schon beinahe ausdruckslose und gleichgültige Ruhe von früheren Sequenzen des Filmes bekannt ist, bildet ebenfalls ein deutliches Gegengewicht zu dem hysterischen Gekeife der einheimischen Frau, die die Gesellschaft des Legionärs sucht. Nachdem endlich Ruhe eingekehrt ist und Amy Jolly mit ihrer Darbietung beginnen kann, wird dies nochmals deutlich: Ihre Stimme wirkt kräftig, ohne übermäßig laut zu sein und zeugt ebenso von der Begabung, sich beherrschen zu können und überflüssige Emotionsausbrüche zu unterdrücken. Singend schlendert sie nun durch das Publikum, verweilt hin und wieder an einem der Geländer inmitten des Publikums und trägt dabei weiter ihr Lied vor. Bereits hier wird die spätere für Marlene Dietrich typische Beleuchtung ihres Gesichtes deutlich, die einen sogenannten kleinen „Butterly“ unter ihre Nase setzt, der durch direkt von oben kommendes Licht erzeugt wird. Diese Ausleuchtung bewirkt ein in die Länge ziehen ihres Gesichtes, das Marlene Dietrich zeitlebens als zu rund und zu platt erscheinen soll und das sie desöfteren mit einem Pfannkuchen vergleichen sollte. Die für sie typisch werdende Ausleuchtung betont stattdessen die Stirn, die Augenlider sowie die Wangenknochen.[1]

Ein Gast ist von ihrer Darbietung so fasziniert, daß er ihr ein Glas Champagner reicht, das sie zügig leert. Mit ihrem Auftreten hat eine Dame wohl offensichtlich ihre Probleme und versteckt ihr kicherndes Gesicht hinter einem Fächer. Amy Jolly läßt sich nun von ihr eine Blume schenken, die der Dame gehört und als Dankeschön küßt sie diese auf den Mund. Der Zauber und die Faszination, die von dieser Szene ausgeht, wird besonders deutlich, wenn man sich die damaligen gesellschaftlichen Moralvorstellungen vor Augen führt und die dazu geführt haben dürften, daß diese Handlung geradezu schockierend gewirkt haben müssen, aber der Dietrich zu ungewöhnlicher Aufmerksamkeit verholfen haben dürften. Doch das Spiel mit den Geschlechterrollen geht weiter, indem Amy Jolly nun zu dem Legionär schlendert und ihm die Blume zuwirft. Die Faszination läßt sich wohl auch dadurch erklären, daß Marlene Dietrich innerhalb dieser Sequenz zwischen den Geschlechterrollen hin- und herspringt, indem sie zum einen als Frau in Männerkleidung auftritt und als solche auch eine Frau küßt und dann im nächsten Augenblick dann doch gleichsam zum Mann in Männerkleidung im Körper einer Frau wird, denn die Handlung, jemandem Blumen zuzuwerfen, darf als das Zitat eines klassischen Verhaltensmuster gesehen werden, bei dem der Mann nach einer Vorstellung im Theater der Hauptdarstellerin Blumen zuwirft. Mit dieser Umkehrung, bei der die Frau „ihrem“ Hauptdarsteller nun eine Blume schenkt, erreicht von Sternberg also erneut einen sowohl hetero- wie homosexuell gefärbten Unterton, der die besondere Atmosphäre dieser unvergeßlichen Szene ausmacht.

Nicht unerwähnt bleiben soll aber auch, daß mit der Wahl des Legionärs nun genau die gesellschaftliche Gruppe das Interesse der Dietrich erregt, vor der sie der Manager noch zu Beginn gewarnt hatte, da diese aufgrund ihrer schlechten materiellen Verhältnisse völlig indiskutabel seien. Marlene Dietrich erreicht dadurch natürlich die Gradwanderung, einerseits eine gewisse Kühle, Nüchternheit und Unerreichbarkeit zu verkörpern und andererseits beim Zuschauer, der zumeist aus ähnlich schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen kommen mag, eben dann doch zumindest den Funken einer Hoffnung zu erwecken, die unerreichbare Ikone eines Tages doch erreichen zu können.



[1] vgl. Susanne Marschall: Vis-à-vis. Marilyn und Marlene. In: Thomas Koebner

  (Hrsg.):Schauspielkunst im Film. Erstes Symposium (1997). Gardez! Verlag, St. Augustin,

  1998, S. 98 f.