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9. Das Drama der Nichtexistenz

„My pain ist constant and sharp and I do not hope for a better world for anyone. In fact, I want my pain to be inflicted on others.“


Wenn Patrick tags darauf zu dem Treffen aufbricht, beginnt für ihn der Tag wie jeder andere auch. Er exerziert seine tägliche Routine, um sich schließlich in einen seiner teueren Anzüge zu kleiden, von denen letztlich doch einer ausschaut wie der andere. In dem Augenblick, in dem er in einer wundervoll inszenierten Einstellung den Kleiderschrank betritt und durch das Gegenlicht nur noch als Silhouette sichtbar ist, wird klar, daß er nur noch ein Schatten seiner selbst ist, der so perfekt an seine Umwelt angepaßt ist, daß er keinerlei Individualität entwickeln kann, die andere auch nur zu erkennen bereit sind. Trotzdem wirkt die Inszenierung so, als sei es der letzte Tag von Patricks Leben wie er es bislang kannte, trägt die ruhige Klaviermusik doch diesmal bis auf den Flur hinaus, in dem in rot erleuchteten Lettern das Wort „Exit“ zu lesen ist, was den Anschein erweckt, als habe er endlich den Ausweg aus seinem Leben gefunden. Erneut verwischen hier die Möglichkeiten einer Standortbestimmung, denn hier hat es im ersten Augenblick den Anschein, es handele sich um den Korridor vor seiner Wohnung, doch erst die nächsten Einstellungen bringen Klarheit, wenn Patrick ein Apartment betritt. Vor dem Betreten dieser leeren Wohnung, die gerade renoviert wird, setzt er sich eine Atemmaske auf, deren Zweck klar wird, als ich erfahre, daß es die vermeintliche Wohnung Paul Allens ist. Patrick mag wohl mit dieser Maske den Versuch unternehmen, den offensichtlich mittlerweile bestialischen Geruch der Leichenteile wenigstens einigermaßen ertragen zu können, doch auch hier kommt alles ganz anders. Anstelle des erwarteten Gruselkabinetts aus Leichen erwartet ihn eine Maklerin. Obwohl diese Sequenz offenbar nicht Patricks Einbildung entspringen kann, habe ich durchweg das Gefühl, in einer Art Twilight Zone zu sein. Dies beginnt bei der sphärisch-rauschenden Geräuschkulisse und setzt sich fort in der annähernd leeren Wohnung, deren Wände in strahlendem Weiß gestrichen sind. Es finden sich keinerlei Bilder oder Möbel in ihr, so daß die Wohnung letztlich eher wie ein Tor in eine andere Dimension wirkt. Es mag vielmehr eine Art von reinigendem Prozeß sein, steht die Farbe Weiß doch seit jeher für die Unschuld. Und eben jene mag Patrick wohl gerade zurückerhalten, wird ihm doch deutlich, daß nichts von dem, was er hier erwartet, zutreffend ist. Langsam wandelt er durch die Wohnung und findet lediglich einige Utensilien für Malerarbeiten. Wie ein Geist steht die Maklerin vor ihm. Ihre helle blonden Haare korrespondieren mit dem weißen Teil ihrer Kleidung. Diese ist jedoch nur etwa zur Hälfte weiß, während der Rest in einem dunklen Muster kontrastiert wird. Sie mag somit als eine Art Spiegelbild Patricks gelten, denn sie reflektiert damit dessen dunkle Seite, die wohl jeder Mensch in sich tragen mag. Das Gespräch der beiden findet beinahe flüsternd statt, so leise sprechen sei miteinander, was allein daher schon seltsam wirkt, steht es doch im Gegensatz zu dem bisherigen eher hektischen Geschehen. Mit knappen Sätzen weist sie Patrick schließlich an, das Haus zu verlassen und zieht sich ebenso geisterhaft anmutend wieder in einen Schatten zurück. Ihr abschließender Satz „Don´t come back.“ wirkt hierbei weniger wie ein schlichtes Hausverbot, sondern vielmehr wie ein beinahe göttliches unumstößliches Verbot, sich niemals mit Dingen zu beschäftigen, die der Mensch nicht handhaben kann. Es stellt somit den letzten Verweis auf ein Horrorfilmklischee dar, steht in Gruselfilmen doch oftmals die Verletzung eines Gebotes, gewisse Dinge niemals tun zu dürfen, am Anfang allen Übels. Patrick akzeptiert und zieht sich aus dieser Zwischenwelt zurück, die ihm zwar seine Unschuld wiedergegeben haben mag, was er jedoch nicht glauben kann. Rückwärts laufend verläßt er die Wohnung, als würde ein Film rückwärts laufen und alles bisher Gesehene ungeschehen machen.
Der Anruf bei seiner Sekretärin, bei dem er den Tränen nahe ist, veranlaßt diese, einen Blick in seinen Terminplaner zu werfen. Die Kamera zeigt sie hierbei aus einer extrem tiefen Untersicht heraus und erweckt so den Eindruck, als blicke sie in einen tiefen Abgrund. Und in der Tat sind, abgesehen von einigen wenigen Terminen in seinem Terminplaner, die durch ihre Anordnung darauf schließen lassen, daß es sich hierbei um Treffen zum Brunch oder Mittagessen handelt, nur eine Zeichnung zu finden, die seine sexuellen Phantasien visualisieren. Die Leere dieser Seiten darf somit als weiteres Symbol für die Leere in Patricks Leben stehen. Bereits wenige Seiten später häufen sich diese Kritzeleien und offenbaren Patricks Zerrissenheit und seine Phantasien, die er auf diese Art auszuleben versucht und seinen Tagesablauf bestimmen. Die einsetzende kindliche Musik, die über den düsteren Instrumentalklängen liegt, ist ein weiteres Indiz für die Wiederherstellung seiner Unschuld, doch ist diese nur oberflächlich zu deuten, denn die sphärischen Klänge versinnbildlichen einmal mehr Patricks Schizophrenie.
Als er endlich auf seinen Anwalt trifft, zeigt sich schnell, daß dieser seinen Anruf überhaupt nicht ernstgenommen hat, sondern für einen großartig gelungenen Scherz hält. Vielmehr drischt er mit Patrick dieselben Phrasen, die dieser für gewöhnlich auch sagt, nur daß dieser sich diesmal nicht damit zufrieden gibt. Auf seine Nachfrage stellt sich heraus, daß sein Anwalt ihn weder für Patrick Bateman hält, noch daß er diesem, wie er sagt, „Leichtgewicht“ solche Taten zutrauen würde. Es offenbart sich nun die gesamte Tragik Patricks, denn durch seine perfekte Anpassung an seine Umwelt kann und will ihn nicht einmal mehr sein Anwalt erkennen und verweigert ihm somit die Hilfe, die er braucht. Nach wie vor wird er für irgendeinen austauschbaren Menschen mit austauschbarem Namen gehalten, der schlichtweg nicht zählt und der tun könnte, was er wollte, denn letztlich würde es niemandem auffallen. Keiner wird jemals von ihm Notiz nehmen. Sein Anwalt erklärt, daß er sich zweimal in London mit Paul Allen, dessen Mord Patrick immer wieder erwähnt, getroffen habe, wobei sich auch hier letztlich die Frage stellt, ob es wirklich Paul Allen war, den er traf, da dieser doch ebenso austauschbar ist wie Patrick, der hier im wahrsten Sinne des Wortes um seine eigene Existenz kämpft. Als einziges individuelles Merkmal dienen ihm seine angeblich begangenen Morde. All die Zeit schwitzt Patrick stark, was ihn wenigstens dadurch von seinen Kollegen und dem Anwalt unterscheidet, zeigt er hier doch echte Gefühle wie Angst und Verzweiflung. Auch die Kamera kommt endlich näher an ihn heran, eben weil er bereit ist, die scheinbar makellose Fassade zu durchbrechen.
Seine Kollegen diskutieren weiter über Nichtigkeiten, die letztlich doch nur den Konsum betreffen, während Patrick in sich geht. Im Hintergrund ist eine Ansprache von Ronald Reagan zu hören, der mit einer Rede über Stärke dieser Szenerie, in der jeder ein perfektes Bild von sich aufbauen will, eine treffende Untermalung bietet. Patrick beobachtet seine Kollegen, wie sie scherzend Phrasen dreschen. Es ist somit nur konsequent, lediglich ein sphärisches Rauschen über die Einstellungen zu legen und die Dialoge auszublenden, sind sie es doch schlichtweg nicht wert, hörbar gemacht zu werden. Ihr Lachen und ihrer Gestik wirkt übertrieben, beinahe wie die Masken von Clowns, die ihr Wesen hinter Schminke verbergen. Doch allzu deutlich wird, daß sich hinter dieser Maske nichts verbirgt, wirken sie doch zu uniform und austauschbar, was auch durch die Lichtsetzung verdeutlicht wird. So ist keiner der Personen vollständig ausgeleuchtet. Obwohl es ein sonniger Tag ist, „saufen“ die Konturen regelrecht ab und die Personen werden zu Schatten ihrer selbst, ohne daß hierbei noch Konturen, Details oder individuelle Merkmale erkennbar wären.
Patrick erkennt, daß es keine Grenzen mehr gibt, die überschritten werden können, denn alles scheint möglich und somit wird das Außergewöhnliche zum Gewöhnlichen und damit zum Bedeutungslosen. Die Gründe für Batemans Taten mögen einfach oder vielschichtig sein, jedoch erhofft er sich durch sein Geständnis Vergebung, Strafe, Anerkennung und wohl auch die Bestätigung, daß er etwas getan hat, was nur ihm allein zuzuschreiben ist. Letztlich wird ihm aber sogar dies verwehrt. Es kann somit nur das resignierende Resümee bleiben, daß ihm all das verwehrt bleiben wird. Eine Aktion hat in der Regel eine Reaktion zur Folge, einem Verbrechen folgt das Urteil und die Sühne, doch nichts von all dem geschieht. Seine Taten haben keinerlei Konsequenzen. Sie interessieren niemanden und somit ist es, als haben sie nie stattgefunden. Sein Vorhaben, seine Identität dadurch zu konkretisieren und anderen vor Augen zu führen, indem er Menschen Schmerzen zufügt, darf somit nicht nur als ein unermeßlicher Haß auf sich, sondern auch auf andere verstanden werden. Sein Haß auf seine Umwelt mag zum einen aus seinem Frust heraus entspringen, da sein Streben nach Anerkennung und Macht oftmals von Mißerfolg gekrönt ist. Gerade dieses Ausbleiben von Konsequenzen verdeutlicht dies. Nach Freud ließe es sich erklären, daß böse Taten oder auch nur die Gedanken daran, Schuldgefühle zur Folge haben, die eben erst durch eine Sühne oder auch Vergebung getilgt werden können. In diesem Fall bleibt aber beides aus, was Bateman in einer noch stärkere Verzweiflung stürzen muß. Dies wird unterstützt dadurch, daß das Gefühl, daß der durch seine Schizophrenie entstehende Wahn, aufgrund seiner Taten verfolgt zu werden, sich als falsch herausstellt, da ihn tatsächlich niemand jagt und auch der Detektiv niemals als eine echte Bedrohung gelten kann, da dieser sich zu leicht um den Finger wickeln läßt und oftmals die Lösung auf vermeintliche Fangfragen gleich dazu anbietet.
Dieses Erkennen des eigenen Nicht-Existierens und der Erkenntnis, daß es auch hier keine Wandlung der inneren Einstellung gibt, zählt für mich zu der eigentlichen Tragödie des Patrick Bateman. Sein Handeln, gleich ob gut oder böse, findet praktisch nicht statt, weil niemand davon Notiz nimmt. Auch ist es unerheblich, ob er es bedauert oder sich selbst leid tut, denn niemand wird von diesen Gefühlen, so sie denn überhaupt vorhanden sind, Notiz nehmen. Der Film „American Psycho“ darf zu den Filmen zählen, deren Ende nicht auf einen dramaturgischen Höhepunkt zulaufen. Dieser wäre auch völlig fehl am Platz, denn das Resümee des Patrick Bateman kann ein solches Finale nicht zulassen. Vielmehr entläßt er den Zuschauer mit seiner Resignation ohne eine echte Botschaft, ganz, als wäre nichts geschehen. Somit kann sich nur seine Aussage bestätigen: „I simply am not there.“