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8. Finale. Mit Pauken, Trompeten und Frank Sinatra

„Und er entrückte mich im Geist in eine Wüste; da sah ich ein Weib, das saß auf einem scharlachroten Tier voll Lästernamen, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern. Das Weib war in Purpur und Scharlach gekleidet und geschmückt mit Gold, Edelstein und Perlen. (...) Auf seiner Stirn stand als Geheimnis ein Name geschrieben: „Babylon, die Große, die Mutter der Buhlerinnen und der Greul der Erde.“

(Offenbarung, 17, 3-5)

Kevins Mutter offenbart ihrem Sohn, daß auch sie nicht die Heilige ist, für die sie bislang gehalten wird und nennt als Vater von Kevin John Milton, den sie Jahre zuvor in New York traf, während im Hintergrund das Lied „Happy Birthday“ ertönt. Und in der Tat wird dies die Geburt eines neuen Kevin Lomax darstellen, der sich seiner Rolle als Sohn sehr bald bewußt sein wird. Er verläßt das Krankenhaus und trifft Pam Gerritty vor der Tür, die ihn zu Milton schickt. Mit langsamer Bewegung erhebt sich die Kamera und offenbart Kevin ein Bild von geradezu atemberaubendem Ausmaß: Er steht völlig allein auf der 57th Street in New York. Keine Menschenseele ist mehr da, während sich sie Kamera weiter in die Vogelperspektive erhebt. Einen langen Schatten vorauswerfend, schreitet Kevin voran und erinnert dabei an das Finale eines Western, bei dem die Menschen die Straßen wegen des bevorstehenden Duells verlassen haben. Die Dramatik und die Bildgewalt dieser Einstellung wird zudem durch den einsetzenden Chor noch verstärkt. Kevin befindet sich in einer anderen Welt, was durch den eben noch miterlebten grausamen Tod seiner Frau besonders stark kontrastierend wirkt. Unterdessen vollzieht sich dabei auch ein Wechsel des Genres, denn aus dem Thriller, bei dem sich keiner ob der Wahrheit des Gesehenen sicher sein kann, wird nun ein Horrorfilm, denn nichts mehr entspricht dem Sinn von gewohnter Realität. Es ist nun klar, daß John Milton tatsächlich der leibhaftige Teufel ist. Die Welt, als Element des Surrealen, ist menschenleer, als Kevin bei seinem Vater in dessen Wohnung eintrifft. Mary-Ann ist zu Kevins menschlichem Opfer geworden, um ihn von dieser irdischen Existenz zu befreien und seiner wahren Bestimmung zuzuführen. Diese erklärt ihm John Milton und bleibt dabei gewohnt charmant und durchaus humorvoll. Doch die Ausleuchtung des John Milton spricht eine andere Sprache, denn während Kevin ein deutlich weicheres Licht erhält, bekommt sein Gegenüber ein starkes Licht von unten, was hierbei besonders die markanten Partien des Gesichtes von Al Pacino betont und ihn aufgrund der scharfen Schatten dämonisch wirken läßt. Überhaupt versteht es Pacino auch hier vortrefflich, sich geschickt zwischen Licht und Schatten zu bewegen und ab und an in stark rotes Licht, was als Symbol für das Höllenfeuer zu verstehen ist, hinein- und wieder herausläuft. Kevins Anschuldigungen, er sei für alles Übel verantwortlich, weist er zurück und konfrontiert nicht nur Kevin, sondern auch den Zuschauer, mit der menschentypischen Eigenart, für alles Übel immer anderen die Schuld zuzuweisen. Hier kontert Milton, indem er klar macht, daß jeder für seine Taten selbst verantwortlich sein muß, da er nun die Szenerie dazu aufbaut, aber jedem selbst die Entscheidung überläßt, wie es weitergehen soll. Frustriert muß Kevin seine Schuld eingestehen, wird aber sofort von Milton aufgebaut, denn dieser weist Mary-Ann die Schuld für ihr Verhalten zu und bietet Kevin als Alternative Christabella an, die seine Schwester ist. Kevins Zweifel zerstreut er damit, daß es doch schlichtweg egal sei, daß er mit der intelligenten und attraktiven Frau verwandt sei. Darauf steigert sich Milton in ein Gespräch, das beinahe schon ein Monolog ist, hinein, indem er sich zu all dem Geschehen auf Erden, aber auch zu seinem Verhältnis zu Gott, äußert. Der gefallene Engel äußert sich über seinen ehemaligen Chef nicht gerade positiv und verliert daraufhin die Kontrolle über sich, indem er sich beleidigt darüber ausläßt, daß er wegen Mißachtung gestürzt wurde. Fast schon beleidigt gibt er zu erkennen, daß er eigentlich ungern auf Erden ist und sein Verhalten nimmt dabei fast schon kindische Züge an. Die Darstellung des John Milton macht insbesondere an dieser Stelle deutlich, daß es Hackford nicht darum geht, einen Teufel im christlichen Sinne zu zeigen, sondern einen Satan, den die heutige Welt verdient. Gerade die Stelle, an der Milton anmerkt, daß das 20. Jahrhundert sein Jahrhundert ist, dürften die meistens Zuschauer aufgrund der zahlreichen Meldungen über Gewalt und Katastrophen, die täglich durch die Medien hereinkommen, nachvollziehen können. Die Anlehnung an Nietzsche wird aber auch hier abermals deutlich, stellt Miltons Angebot doch letztlich nichts anderes dar als die Schaffung eines Übermenschen, dem die Frau letztlich nur Untertan sein muß, um quasi dem Krieger nach getaner Arebit zur Erholung zur Verfügung zu stehen. Auch die Emotionslosigkeit und Kälte, die Kevin ausstrahlt, um zum Erfolg zu kommen, sind charakteristisch für Nietzsches Ansichten zum Übermenschen. So macht Milton zwar deutlich, daß dies seine Welt ist, aber jeder die Wahl hat, sich für oder gegen ihn zu entscheiden. Er überläßt es Christabelle und Kevin, ein Kind aus freiem Willen zu zeugen, der im Buch der Offenbarung als Antichrist benannt wird. Mit dieser Erzeugung einer Familie, die sich Milton so sehr wünscht, bildet er nicht nur das Gegenstück zu Mary-Ann, sondern karrikiert auch das gängige Hollywood-Klischee, bei dem oftmals die Hauptpersonen eines Filmes eine Familie oder eheähnlichen Gemeinschaft gründen. Milton malt Kevins Bestimmung dabei in den schillerndsten Farben aus. Er spricht dabei von einem Neuanfang für alle und erklärt auch, daß die Anwendung des Gesetzes notwendig ist, um in alle Bereiche menschlichen Lebens vordringen zu können, was das Mißtrauen der Bevölkerung gegen ein Rechtssystem zum Ausdruck bringt, dem sich manch einer hilflos ausgeliefert und auch aufgrund der schwierigen Sprache ausgeschlossen fühlt. Gerade deshalb wird das Rechtssystem oftmals auch als „white-coloured-crime“ bezeichnet. Taylor Hackford bricht dabei die Dramatik der Handlung, indem er den Teufel, der so glücklich über das scheinbar Erreicht ist, daß er zu singen beginnt. Er stimmt dazu in dessen eigener Stimme einen Song von Frank Sinatra an und es würde nicht verwundern, wenn er auch ihn aufgrund seiner zahllosen Kontakte gekannt hätte. Dieses Lied dient in erster Linie der Unterhaltung des Zuschauer, dem somit ein kurzer Moment der Ruhe gegönnt wird. Doch diese Atempause ist nur von kurzer Dauer, denn sofort präsentiert sich Christabella in verführerischer Pose. Sie bildet dabei einen Gegenpol zu Milton und Kevin, die nur reden, während sie sich nackt Kevin anbietet. Wie ein Sakrileg mag es da wirken, daß sie sich in einer unmißverständlichen Christus-Pose darbietet und dabei eindeutig die Triebe des Mannes anspricht, womit sie Kevin endgültig dazu auffordert, Blutschande zu begehen. Das Relief im Hintergrund beginnt dabei als Sinnbild der Verführung quasi lebendig zu werden und zeigt unzählige Körper, die ineinander verschlungen, sich gegenseitig umarmen und liebkosen. Erneut wird deutlich, daß dieser zu nichts gezwungen wird, sondern sich aus freien Stücken entscheiden muß. Kevin entscheidet sich und zerstört das Instrument des Teufels, nämlich sich selbst, indem er sich mit einer Waffe in den Kopf schießt. Milton offenbart dem Sterbenden sein wahres Gesicht, das die Verkörperung von Wut, Haß und Ärger darzustellen scheint. Seine Wut entlädt sich in einer gigantischen Feuerwelle, die alles um ihn herum, angefangen bei dem Relief, zerstört und der auch Christabella zum Opfer fällt, die auszutrocknen scheint und leblos erstarrt. Miltons Bemühungen müssen also scheitern und so verwandelt sich dieser, nachdem er kurzzeitig in der Gestalt eines Dämons zu sehen war, wieder zu Luzifer, dem gefallenen Engel, der mit einem entsetzlichen Aufschrei seine Flügel ausbreitet und somit klar macht, daß er nun wieder ganz am Anfang steht. Doch auch die rasante Kamerafahrt in seinen aufgerissenen Mund, der durch eine faszinierende Mischung aus Blut darstellenden Menschenleiber dargestellt wird, macht deutlich, daß auch Kevin wieder ganz am Anfang steht, denn dieser findet sich im „Restroom“ des Gerichtsgebäudes wieder, in dem der Fall des Lehrers Ghetty verhandelt wird, womit Regisseur Hackford erneut die Frage nach Realität oder Phantasmagorie des Gesehenen stellt. Kevin Lomax erhält somit eine zweite Chance, diesen Fall zu bearbeiten und im Gegensatz zum ersten Mal betritt er den Gerichtssaal nun nicht in der Absicht, gewinnen zu wollen, was auch durch die Musik deutlich wird, die nun einsetzt und geradezu kindlich-unschuldig und unbeschwert wirkt. Und Kevin entscheidet sich, indem er öffentlich die Verteidigung des Lehrers abgibt, was zudem einer Selbstzerstörung der eigenen beruflichen Existenz gleichkommt. Doch die Versuchung lauert erneut in Gestalt des smarten Reporters Harry, der in der Geschichte die Story seines Lebens wittert und Kevin zu einem Star der Medien machen will. Nun mochte Kevin den Teufel zurückweisen, doch offenbar gelingt es ihm nicht, dem Ruhm der Medien zu widerstehen und willigt ein. Nach seinem Abgang aus dem Gerichtsgebäude verwandelt sich Harry, der all die Zeit unbemerkt schon die gleichen Taktiken beherrschte wie Milton und diesem auch von der Statur ähnelt, zu eben jenem, blickt lächelnd in die Kamera und bestätigt dem Zuschauer: „Vanity is definitly my favourite sin.“ Und mit einem bösen Lachen verabschiedet er sich und macht mir unmißverständlich klar, daß man den Teufel niemals endgültig schlagen kann. Ich kann eine Schlacht für mich gewinnen, doch morgen schon ist er wieder da.