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3. John Milton - Herr Satan persönlich

„Und ich sah aus dem Meer ein Tier aufsteigen, das hatte zehn Hörner und sieben Köpfe und auf seinen Hörnern zehn Diademe und auf seinen Köpfen Namen voll Lästerung.“

(Offenbarung, 13, 1)

Nach der Besprechung verlässt Kevin das Gerichtsgebäude und läuft durch die Straßenschluchten von New York, die ihn optisch gefangen nehmen und ihn durch eine Art Höhlenwelt führen. Steil strecken sich die Wolkenkratzer als Symbol der Macht in den Himmel, scheinen jedoch kein Ende nehmen zu wollen. Durch die am Bildrand angeschnittene Gestalt wird deutlich, dass er beobachtet wird. Der Gegenschuß macht deutlich, dass es sich hier um John Milton (Al Pacino) handelt, der zu Kevin herüberblickt. Dabei ist er leicht in der Untersicht zu sehen, was dessen Bedeutung und Macht unterstreicht, aber eben auch, um den optischen Bezug zu dem gemauerten Gewölbe, unter dem er steht, herzustellen, was hier quasi wie die moderne Fassade einer Art von Unterwelt wirkt, in der sich Milton aufhält. Dieser Unterweltcharakter wird dann nochmals unterstrichen, als Milton die Treppe hinunter zur U-Bahn ansteuert, in der gleich darauf verschwindet. Zudem deutet sich hier bereits an, dass Milton dieses Verkehrsmittel gerne nutzt, um, wie er später erklärt, zügig überall hingelangen zu können und dabei auch noch unter Menschen zu sein. Der kurz darauf einsetzende Blick in Zeitraffer auf die Skyline von New York, dessen Szenerie mit Bedacht gewählt wurde, gilt es doch oftmals als ein modernes Babel oder Sodom, hat nicht nur das Ziel, die Hektik der Stadt darzustellen und dem Zuschauer deutlich zu machen, daß nunmehr einige Zeit vergangen ist, sondern steht auch für das Einsetzen des Übernatürlichen, das hier zu Werke schreitet. Das historische Vorbild des John Milton hat hingegen wenig Geheimnisvolles an sich. Der 1608 in London geborene Milton will zunächst Minister werden, schreibt dann zahlreiche Pamphlete, bis er Mitglied in der Regierung des Oliver Cromwell als „Latin secretary for foreign affairs“ wird. Bekannt wird er aber insbesondere durch sein Werk „Paradise Lost“, das die Rebellion Satans gegen Gott thematisiert. Er stirbt 1674. Gerade im Hinblick auf „Paradise Lost“ deutet sich aber die Natur des filmischen John Miltons an, gibt sie doch einen eindeutigen Verweis auf Luzifer, der einst von Gott verstoßen wurde und nun als dessen Gegenspieler agiert. Daß John Milton hierbei als Kanzleibesitzer auftritt, verwundert nicht, dient das Gesetz ihm doch als Eintrittskarte in fast alle politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereiche dieser Welt. Einen Hauch dieses globalen Agierens erfährt auch Kevin, als er zu einem Gespräch eingeladen wird. Das sich durch eine Kameradrehung aufzurichten scheinende Hochhaus darf sicherlich einmal mehr als ein phallisches Symbol verstanden werden, steht es doch nicht nur für den Karriereschub und die Macht, die Kevin widerfährt, sondern auch für den zunächst recht trivial erscheinenden Hinweis, dass jetzt das beginnt, was eine höhere Macht mit ihm vorhat. Die Ausstattung der Kanzlei folgt dem weltweit agierenden Aufgabengebiet, stellt sie doch eine faszinierende Mischung aus italienischer und japanischer Architektur dar. Grauer Beton wird aufgelockert durch die warmen Brauntöne von edlen Hölzern, während die Aussicht über die Stadt nicht nur den Atem raubt, sondern ein weiteres Indiz für die exklusive und somit teure Lage der Büroräume. Die schwindelerregende Höhe des Gebäudes mit ihrem internationalen Sprachenwirrwarr in den Büros darf zudem als eine Anspielung auf den Turmbau zu Babel verstanden werden, auch wenn die Vielfalt der Sprachen hierbei sicherlich nicht als Strafe Gottes, sondern vielmehr zu dessen Herausforderung zu sehen ist. Ein besonderes Glanzlicht innerhalb des Gebäudes ist hierbei das Büro des John Milton, das vor allem durch seine Schlichtheit besticht und dessen Türen sich von selbst wie von Geisterhand öffnen. Geradezu minimalistisch ausgestattet, deutet es doch an, dass hier ein Mann residiert, der nicht nur über einen ausgezeichneten Geschmack verfügt, sondern eben auch aufgrund seines Reichtums die Möglichkeit hat, bewusst auf Dinge zu verzichten, die zwar auf den ersten Blick opulent und beeindruckend hätten wirken können, auf den zweiten Blick jedoch nur eine vordergründige Fassade sein können. Dominiert wird das Büro durch den großen offenen Kamin, in dem zu jeder Zeit ein Feuer lodert, was hierbei als augenzwinkernder Verweis auf die Feuer der Hölle zu verstehen ist, ohne die sich der Teufel auch in solch einer exklusiven Umgebung nicht hätte heimisch fühlen kann. Der beeindruckenden Massivität des Raumes steht kontrastierend das Mobiliar gegenüber. Vor dem Kamin steht eine grazil wirkende Bank, die in ihrer feinen Ausarbeitung fast schon an deutschen Expressionismus bzw. die Architektur der Filme des daran anlehnenden Tim Burtons erinnert, denn auch hier findet bisweilen Mobiliar Verwendung, das ähnlich grazile Formen und verschobene feingliedrige Proportionen aufweist. Das weltweite Agieren reflektiert sich hier in einer afrikanischen Statue, die auf dem Schreibtisch steht, aber durch ihre starke Körperbetonung bereits andeutet, daß er es mit der Moral nicht allzu streng nimmt. Von Kevin unbemerkt nähert sich ihm von hinten John Milton, der mit einem klassischen dunklen Anzug, mit Hemd und Krawatte bekleidet ist. Bei der Begrüßung fixiert er Kevin mit wachen Augen und vermittelt mit abwartender Haltung dabei den Eindruck, als habe er nur auf ihn gewartet und begutachte nun das Ergebnis. Bei dem folgenden Gespräch erweist sich Milton als aufmerksamer Zuhörer, der aber auch ein charmanter Mann sein kann. Auffallend ist hier die kontrastierende rauchige Stimme Pacinos und sein beinahe bösartiges Lachen, das so garnicht zu dem smarten Geschäftsmann passen will. Auch das Spiel mit der Zunge erinnert hierbei deutlich an das Züngeln einer Schlange, die sich dadurch in ihrer Umgebung zu orientieren versucht. Recht schnell spricht Milton Kevin auf seine Geheimnisse an, deutet dabei indirekt an, daß jeder und somit auch er, solche besitzt und versichert ihm mit einer Handbewegung, daß das gesprochene Wort flüchtig ist und dennoch unter ihnen bleiben wird, was zur Folge hat, daß zwischen den beiden eine Art Verbundenheit entsteht, die aufgrund gemeinsamer Geheimnisse basiert. Noch beeindruckender ist die Terrasse, auf die John Milton Kevin führt. Die Tür, die nach draußen führt, öffnet sich zwar nicht wie von Geisterhand, aber doch lediglich aufgrund eines einfachen Fingerdruckes und offenbart einen noch imposanteren Einblick auf die Stadt. Hoch oben auf dem Dach des Hauses ist hier ein See angelegt, der lediglich von einem schmalen Steg geteilt wird. Sowohl der See wie auch der Weg finden ihre Begrenzung nicht etwa in einem Geländer oder einer Mauer, sondern führen geradewegs in den Abgrund der angrenzenden Straßenschluchten und ich fühle mich hierbei an das antike Weltbild erinnert, das von einer Scheibengestalt der Erde ausgeht, bei der derjenige, der leichtsinnigerweise den Horizont erreicht hat, einfach hinunterfällt und in der Unterwelt landet. Doch nicht nur hierfür steht diese Architektur, denn vielmehr deutet sich zum einen auch an, dass Miltons Angebot geradewegs in den Abgrund führen wird. Um dies zu unterstreichen, endet der Weg in einer breiten Plattform, deren Gesamtform an die eines Pfeils erinnert, der geradewegs in die Tiefe weist. Umso eindeutiger ist aber die Kombination des Wassers mit der Figur des John Milton, darf diese doch als ein direktes Zitat aus dem Buch der Offenbarung verstanden werden, in dem der Antichrist als das „Tier aus dem Meer“ bezeichnet wird. Doch Hackfords Zitate aus dem biblischen Kulturgut gehen noch weiter, wenn Milton mit Kevin über seine beruflichen Perspektiven spricht, stellt dies doch letztlich nichts anderes dar, als das Herantreten des Versuchers an Jesus, der ihn schließlich auf einen hohen Berg führt und ihm das unter ihm liegende Land zeigt und ihm offeriert, dass ihm all das gehören wird, wenn er ihn anbetet. Während Jesus dieses Angebot ablehnt, kann Kevin nicht widerstehen, ist doch die Versuchung und der Charme des John Milton zu groß. Überhaupt kann er sich nur immer wieder erstaunt die Frage stellen, wer dieser Mann sein muß, der beinahe tänzelnd und spielerisch nahe am Abgrund flaniert. Milton trägt hierbei Schuhe mit hohen Absätzen, die ihn größer machen, als er tatsächlich ist. Kevin stellt dies lediglich fest, ahnt jedoch nicht, dass Milton hier seinen Mitmenschen nicht nur über seine wahre körperliche Größe täuscht, sondern im übertragenen Sinne eben auch über seine geistige Größe, zumal er, wie er desöfteren gerne betont, es genießt, von anderen Menschen aufgrund seiner Körpergröße unterschätzt zu werden. Das großzügige Angebot, Miltons Auftreten und die schwindelerregende Höhe, in der sich Kevin (auch gesellschaftlich) befindet, üben einen enormen Druck auf ihn aus, dem dieser nicht widerstehen kann. Im Kontrast zu John Miltons Büro steht seine Wohnung. Diese befindet sich im obersten Stockwerk des für die Partner und deren Familien genutzten Gebäudes in einer der exklusivsten Wohngegenden in New York. Miltons Wohnung besteht zu Kevins Verwunderung aus einem einzigen großen Raum, der nichts von der minimalistischen Ausstattung des Büros hat. Vielmehr fällt sofort die starke Anlehnung an Gothic-Elemente auf. Große Säulen tragen die Decke und lehnen sich dabei erneut an klassische Vorstellungen der Unterwelt an. Ein gigantisches Relief dominiert die Umgebung des Schreibtisches, während im Hintergrund erneut ein Kamin mit loderndem Feuer zu erkennen ist. Das verwendete Holz, das dem Raum eine deutliche Schwere verleiht, zeugt von der massiven Bauweise der Wohnung und erinnert dabei auch an das in amerikanischen Gerichtssälen verwendete Holz, was wiederum den Bezug zu seinem Beruf herstellt. Insgesamt aber deutet der veränderte Stil der Wohnung zum Büro aber auch an, dass es sich bei Milton um einen Mann handelt, der geschäftliches Tun und Privatleben nach außen hin trennt und nur den Personen, die er sich bewusst in sein Umfeld herbeiholt, einen tieferen Einblick erlaubt. Dazu zählt auch die Tatsache, dass seine Wohnung nur derjenige besuchen kann, der einen Schlüssel für den Lift besitzt. Zu diesem ausgewählten Kreise darf sich nun auch Kevin zählen und offenbar schmeichelt es ihm sehr, so schnell Privilegien zu erhalten, für die andere deutlich länger arbeiten mussten. Es verwundert somit nicht, dass er die Zeichen nicht sehen will, denn seine Verwunderung auf das Fehlen eines Schlafzimmers und die Frage „Where does he sleep?“ ist mit der mehr als banalen Antwort „Who says he sleeps?“ befriedigt. Vielmehr ironisiert er seine Verwunderung mit der Frage „Where does he fuck?“ und erhält sogleich von Milton die Antwort: „Everywhere!“. Kevins begründete Skepsis wird von diesem selbst im Keim erstickt. Die wahre Aussage dieses kurzen Dialoges will er nicht sehen, denn zu fantastisch erscheint ihm doch wohl die Annahme, dass sein neuer Chef niemals schläft, weil er nicht schlafen muß und viel zu abstrakt scheint ihm die Aussage, dass das Böse eben überall und zu jeder Zeit da ist. Und gerade in diesem Augenblick ist es für Kevin greifbar nahe.