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5. Die Versuchungen des Kevin Lomax

„You know what scares me? I quit the case, she gets better and I hate her for it.“

Schon auf der Dachterrasse kann Kevin nicht den Verlockungen seines neuen Arbeitgebers widerstehen. Im Laufe der Zeit setzt nun ein Prozeß ein, der ihn zum einen immer mehr von Mary-Ann entfremdet, ihn zum anderen aber in die Arme einer anderen Frau treibt. Bereits bei seinem ersten Besuch in der Kanzlei fällt ihm die attraktive Christabella Andreolli (Connie Nielson) auf, als diese mit einem Geschäftspartner telefoniert. Christabella darf als Gegenpol zu Mary-Ann gesehen werden. Allein der melodische Klang ihres Namens, ihrer Stimme und ihrem fließenden Italienisch, mit dem sie mit einem Kunden verhandelt, verspricht die Verheißungen einer Südeuropäerin. Bereits hier trägt sie ein rotes Kleid, das ihr das klassische Image der „Lady in Red“ gibt. Ihr selbstbewusstes kühles Auftreten steht im Gegensatz zu Mary-Anns offener und liebevoller Art. Noch ist sie für Kevin in weiter Ferne und auch das Zuziehen der Jalousie zeigt zunächst, daß sie hier eine Grenze zieht. Schnell jedoch wird Christabella für ihn das Spiegelbild seiner erotischen Phantasien, während er immer mehr auf Distanz zu Mary-Ann geht. Während er endlose Nächte im Büro verbringt, ist sie mit der Ausstattung der gemeinsamen Wohnung allein gelassen. Was zu einem gemütlichen Zuhause für beide hätte werden sollen, wird immer mehr zu einem Gefängnis für sie. Der Prozeß der Entfremdung zeigt sich bereits in kleinsten Gesten, wie etwa der Tatsache, dass beide nun nicht mehr gemeinsam essen. Auch auf der Party verkörpert sie erneut das Klischee der „Lady in red“. Als Kevin viel zu spät in seine Wohnung zurückkehrt, findet er Mary-Ann völlig verärgert und traurig vor, musste diese doch annehmen, dass ihr Gatte sie mit einer anderen Frau betrogen hat. Die Lichtsetzung spricht hierbei eine deutliche Sprache: Während Kevin in die mit kaltem Blau spärlich beleuchtete Wohnung kommt, ist das orangefarbene Licht, das aus dem Flur scheint. Und tatsächlich kommt Kevin auch geradewegs aus dem Vorhof zur Hölle, in dem längst Pläne geschmiedet sind, Mary-Ann zur Seite zu schaffen und Kevin an die für ihn bestimmte Rolle heranzuführen. Die Abweisung und Kälte, die ihm von Mary-Ann entgegenschlägt, hindert ihn nicht, einen neuen Fall anzunehmen, bei dem der Bauunternehmer Alexander Cullen (Craig T. Nelson) vom Vorwurf des mehrfachen Mordes freigesprochen werden soll. Cullens Ruf ist wenig vertrauenerweckend und seine Version des Tatherganges erscheint nicht sonderlich glaubhaft und als schließlich Kevin dessen Sekretärin, die als Entlastungszeugin aussagen soll, befragt, gibt es an Cullens Schuld keinerlei Zweifel mehr, so daß sich erneut die Frage nach der Moral oder dem beruflichen Überleben stellt. Zudem geht es Mary-Ann immer schlechter, so daß Milton als verantwortungsbewußter Arbeitgeber das Angebot macht, Kevin von dem Fall zu entbinden, so dass dieser sich nun endlich um seine Ehefrau kümmern kann. In dieser Situation zeigt sich erneut, wie sehr es in diesem Film um das Ausüben bzw. Nichtausüben von Druck geht. Obwohl ihn Milton in keiner Weise zur Fortführung des Mandates bewegt, ist der Druck auf Kevin enorm. Es ist aber vielmehr der eigene Druck, der Kevin dazu veranlaßt, mit der unglaublich dummen Begründung, Mary-Ann dafür zu hassen, würde er wegen ihr beruflich kürzer treten, Miltons Angebot ablehnt und stattdessen den Fall weiter selbst betreut. Kevins rücksichtslose Ambitionen lassen ihm keine Wahl, als auf Miltons Test einzugehen und ihm letztlich genau das zu liefern, was dieser hören will. Kevin untermauert schließlich sein Verhalten vor Gericht, als er in einem letzten Moment des Zweifels fragend zu Milton blickt, als ihm klar wird, dass jetzt der Auftritt seiner Entlastungszeugin bevorsteht und diese jetzt für Cullen lügen wird. Miltons Gesicht ist jedoch wie versteinert, als ob er sagen wolle, dass es Kevins eigenen Entscheidung ist. Und Kevin macht weiter.