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9. Die böse Stiefmutter

„Das Weib war in Purpur und Scharlach gekleidet und geschmückt mit Gold, Edelgestein und Perlen. Es hielt einen goldenen Becher in der Hand, voll vom Greuel und Unrat seiner Buhlerei.“

Offenbarung 17, 4

Ichabod ist aufgrund des Erlebten hinter das Geheimnis des Headless Horseman gekommen und weiß nun, daß ein lebendes Wesen den Untoten für seine eigenen Zwecke nutzt, indem er als gedungenen Mörder ausgeschickt wird. Mit dieser Erkenntnis verknüpfen sich nun die beiden Wege der Logik und der Wissenschaft sowie des Triebes wieder und bilden ein komplexes Bild. Doch dies macht die Welt in Sleepy Hollow nicht klarer, sondern bizarrer, gilt es doch nun, nicht die Bedrohung, die von Außen kommt, aufzudecken, sondern die Verschwörung, die in der eigenen Reihen entstanden ist, zu enttarnen. Deutlich wird dies allein schon äußerlich, wirkt doch das Haus der Van Garretts noch spitzer und grotesker, burtonesker und an den deutschen Expressionismus angelehnt als jemals zuvor. Das Mauerwerk hat den Anschein, als wäre es mit spitzer Feder gezeichnet und besitzt eine klar erkennbare Oberflächenstruktur, Anschein für die Künstlichkeit der Fassade. Das Haus ist von toten Bäumen umgeben, als wollten sie von dem Haus Besitz ergreifen. Das Böse ist näher als jemals zuvor. Nachdem Ichabod aus dem Schlaf erwacht ist, sitzt zu seiner Überraschung nicht Katrina wachend an seinem Bett, sondern Lady Van Tassel selbst, die ihm mitteilt, die müde Stieftochter abgelöst zu haben. Sie teilt einen Apfel in zwei Hälften, womit Burton seinem Publikum den deutlichsten aller Hinweise gibt, erinnert sie somit doch definitiv an die böse Stiefmutter aus dem Märchen „Schneewittchen“, die ihrer Stieftochter, verkleidet als alte mittellose Frau, den vergifteten Apfel reicht. Ihr Kleid korrespondiert mit der Farbe und der Struktur des Mauerwerks und deutet damit an, daß auch hinter dieser Fassade noch ein dunkles Geheimnis wartet. Typisch ist auch die Farbe des Apfels, um das klassische Motiv der bösen Stiefmutter zu unterstreichen, denn eine Hälfte ist rot, die andere grün, was die vergiftete bzw. die ungefährliche Seite der Frucht repräsentiert. Auch das Licht unterstützt Burtons Hinweis, denn der Raum wird nach rechst gehend immer dunkler, bis er schließlich rechts der sitzenden Lady Van Tassel völlig ins Schwarze läuft. Als sich die Lady dann erhebt, steht sie vor einer tiefschwarzen Wand, was ihre dunkle Seite deutlich betont und einen guten Kontrast zu dem bildet, was ihr Gegenüber, in diesem Falle Ichabod, sehen soll. In ihrem Fall gilt einmal mehr, daß „Sehen“ noch lange nicht „Glauben“ heißt.