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8. Das Tor zur Hölle

„Er öffnete den Schacht des Abgrundes, und es stieg Rauch aus dem Schacht empor wie der Rauch eines mächtigen Ofens, und die Sonne und die Luft wurden verfinstert vom Rauch des Schachtes.“

Offenbarung 9, 2

Wie eine Skulptur erhebt sich der Baum des Todes nebelverhangen aus dem Grab des Horseman. Die Kamera fährt an ihm nach oben und vermittelt ein erstes Gefühl der Größe. Sie hält inne zwischen zwei knorrigen toten Ästen und blickt zwischen ihnen nach unten auf Ichabod und seine Gefährten. Fast habe ich den Eindruck, der Baum wolle zuschnappen und auch die Totale verstärkt diesen Eindruck, wirkt der tote Baum doch mit den beiden Äste, die sich am oberen Ende zu zwei Enden gabeln und dem Astloch wie eine gigantische züngelnde Schlange oder ein böser Dämon, der aus der Erde herauswächst. Er steht auf einer kleinen Lichtung und fast scheint es so, als wollten die übrigen Bäume bewußt Abstand zu ihm halten. Als Ichabod einen Teil der morschen Rinde abreißt, quillt Blut hervor. Der Baum stellt somit ein Verbindung zwischen der Welt der Lebenden und der Toten dar, denn genau wie der Headless Horseman ist er weder tot noch lebendig. Als Ichabod die Rinde an dieser Stelle ganz entfernt hat, starren ihn die Augen der Toten an, denn offenbar hortet der Horseman hier die Köpfe seiner Opfer. Sie scheinen ihre vorläufige letzte Ruhestätte hier gefunden zu haben und ähneln damit dem Horseman selbst, wirkt doch der Tree of the Dead wie die zu entweichen wollende Seele des toten Reiters, die gegen ihren Willen hier festgehalten wird. Das verdeutlichen auch die Wurzeln, die sich um den inzwischen freigelegten Leichnam krallen, als wollen sie ihn an diesem Ort festhalten. Schließlich werden die Gefährten Zeuge, wie sich das Tor zwischen den Welten öffnet und der Headless Horseman mit Daredevil, zuvor durch ein Gewitter angekündigt, aus dem Wurzelwerk heraus aufbricht, um einen weiteren Auftrag zu erfüllen. Durch das Auftauchen aus diesem Abgrund wird ein weiteres Mal der biblische Aspekt deutlich, den der Headless Horseman besitzt, erinnert doch dieses sich öffnende Tor an den zu Beginn des Kapitels zitierten Abgrund, der in der Offenbarung des Johannes erwähnt wird. Auch die Gestalt des Tree of the Dead in Form einer Schlange bzw. eines Drachens findet sich in diesem Werk an verschiedenen Stellen, etwa wenn es in Offenbarung 12, 3 heißt: „Siehe, ein Drache, feurig und gewaltig groß, mit sieben Köpfen und zehn Hörnern und sieben Diademen auf seinen Köpfen.“ Auch die Gestalt der Schlange ist durch mehrere Bibelstellen als Symbol des Bösen bekannt. So verführt sie nicht nur Eva im Garten Eden, sondern hält auch in der Gestalt der „alten Schlange“ Einzug in das Buch der Offenbarung, wobei sie hier für Teufel und Satan steht: „Gestürzt wurde der große Drache, die alte Schlange, die den Namen Teufel und Satan trägt, der den ganzen Erdkreis verführt; er wurde hinabgestürzt auf die Erde, und seine Engel wurden mit ihm gestürzt.“ (Offenbarung 12, 9). Es fällt nicht schwer, den Headless Horseman zumindest als einen erwähnten Diener der Finsternis zu sehen, steht er doch im Gegensatz zu Katrina, die das reine Gute verkörpert, für das leibhaftige Böse. Seine nächsten Opfer werden die Mitglieder der Familie Midwife sein. Während der Junge mit seiner Laterna Magica spielt und Monsterfratzen und Hexen an die Wand strahlt, ahnen seine Eltern noch nicht, daß sie quasi schon jetzt die bösen Geister sehen, die sie gleich heimsuche werden. Der auffordernde Satz „Get ready for bed“ heißt demnach auch nichts anderes als „Get ready to die.“ Die großen Augen des Jungen scheinen zu erahnen, welcher Dämon da unter Mißachtung des Schildes „Knock before entering“, typisch für Burtons Humor, da gleich hereinplatzen wird und auch die Flammen des Kamins lodern als letztes böses Omen, dämonischen Fratzen gleich, auf. Bei den Morden an der Familie begeht Burton einen Bruch mit den Sehgewohnheiten des Hollywood-Kinos, den gerade hier darf Kindern kein körperliches Leid angetan werden, doch vor Burton sind offenbar alle gleich So kann es auch für den kleinen Jungen, der sich unter den Bodenbrettern versteckt hält, kein Entkommen geben und nach getaner Arbeit steckt der Horseman alle Köpfe, quasi als Umkehrung der Gestalt des Santa Claus, die Köpfe der guten Menschen in seinen Sack und reitet mit ihnen davon. Ohnehin habe ich das Gefühl, als ginge das Wissen der Opfer über den Verbleib weiterer Opfer zusammen mit deren Köpfen auf deen Horseman über, denn anders ist es wohl nicht erklärbar, daß der Horseman zunächst den Ehemann tötet, dann die Frau und zuletzt das Kind, dessen Aufenthaltsort nur die Frau kennen kann und die ihren Sohn zuletzt mit toten Augen durch die Bodenbretter hindurch anstarrt. Brom will sich ihm in den Weg stellen und reizt, Ichabods Warnung ignorierend, den Horseman so lange, bis er sein nächstes Opfer wird. Interessant erscheint mir, daß Burton hier erneut sich selbst zitiert, denn auf einer Brücke gleicher Bauart verlieren bereits Adam Maitland (Alex Baldwin) und seine Frau Barbara (Geena Davis) bei einem Autounfall in „Beetlejuice“ ihr Leben, so daß diese Brücke unweigerlich mit dem Tod besetzt ist.