Startseite

2. Der Weg nach Sleepy Hollow

„Der wilde Wald, der harte und gedrängte, der in Gedanken noch die Angst erneuert. Fast gleicht seine Bitternis dem Tode...“

Dantes Inferno, Erster Gesang Kurz vor der Wende zum 19. Jahrhundert hat die Welt gerade erst den Wandel von der Metaphysik zur ernstzunehmenden Wissenschaft nach lange nicht vollzogen und der Geist der alten Ansichten ist noch überall deutlich präsent. Dies ist auch der Fall in New York, welches mit seinen düsteren und nur wenig beleuchteten spitz zulaufenden Häusern, dunklen Straßenschluchten und seiner an deutschen Expressionismus erinnernden Ästhetik auch Gotham-City hätte sein können. Dies bekommt der Polizist Ichabod Crane (Johnny Depp) allenthalben zu spüren, wenn er meist vergeblich versucht, seine auf Wissenschaft basierenden Methoden zur Verbrechensaufklärung anzuwenden. Daß den Querdenker allerdings niemand so richtig ernst nimmt, zeigt sich bereits daran, daß er im Vergleich zu seinen Vorgesetzten immer etwas kleiner und niedriger gezeigt wird, da diese ihn nicht ernst nehmen wollen oder können. Diese Überheblichkeit von Beamten findet sich derweil auch in dem Meisterwerk „Das Kabinett des Dr. Caligari“ (Deutschland 1919, Regie: Robert Wiene), wenn die Beamten auf unerreichbar hohen Stühlen sitzen und hinab auf ihre Mitmenschen blicken. Um den Querdenker in seine Schranken zu weisen, sendet ihn Richter Burgomaster (Christopher Lee) nach Sleepy Hollow, wo Crane seine Methoden unter Beweis stellen soll. Burgomaster thront dabei über dem Geschehen und die hinter ihm befindliche Statue der Insignien seiner Macht, ein steinerner Adler, verleiht dem Dracula-Darsteller Lee nicht nur die Aura eines majestätischen Todesengels, der über das Schicksal des Polizisten entscheidet, sondern zitiert in erster Linie eben den Steinadler aus dem berühmten Hammer-Film „Horror of Dracula“ (England 1958, Regie: Terence Fisher). Die Reise nach Sleepy Hollow, das zwei Tagesreisen entfernt in den Hudson Highlands liegt, führt Ichabod Crane aus grünen Landstrichen zu immer düster werdenden Wäldern. Bereits hier deutet sich Burtons Vorliebe für schwarz-romantische Schauerästhetik an. Seine Vorliebe für Gothic Horror läßt die Kutsche immer tiefer in den Wald hineinfahren. Dabei spielt Burton im Laufe des Filmes immer wieder mit der kindlichen Angst, in den Wald gehen zu müssen, wo ohnehin nur das Böse anzutreffen ist, denkt man dabei nur an das Märchen von Hänsel und Gretel, die im finsteren Wald ausgesetzt werden und dort auf die Hexe treffen. Immer verwinkelter werden die Wege, die nach Sleepy Hollow führen und die Fahrt der Kutsche, die einmal von rechst nach links fährt und später wieder in die entgegengesetzte Richtung, erinnert dabei an die verschlungenen Pfade, die Hutters Kutsche in Murnaus berühmten Film „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“ (Deutschland 1922) nimmt, um den Grafen Orlock zu erreichen. Doch auch in den Wäldern um Sleepy Hollow scheint der Tod nur darauf zu lauern, sich sein neues Opfer zu suchen: Die Bäume sind alle ohne Laub und wirken wie tot. Ihre knorrigen schwarzen Äste schieben sich immer wieder zwischen Kamera und Cranes Kutsche als wollen sie diese gefangen nehmen. Als das Gespann schließlich, verschmolzen mit den Bäumen nur noch an seiner Silhouette erkennbar, im Gegenlicht fährt und der Himmel in kaltem Blau erscheint, wird deutlich, daß Crane am Ziel ist und dieses Ziel eine Gegenwelt zu der ihm bisher bekannten Welt in New York darstellten wird. Die gesamte Farbgebung erinnert im weiteren Verlauf immer stärker an die bereits zuvor verwendete Stummfilmästhetik und die der Hammer-Produktionen, wobei es Burton dabei entgegenkommen mag, daß er den Film fast ausschließlich in England herstellt. Und an jene Hammer-Filme erinnert auch der kurze Fußweg, der Ichabod Crane schließlich in den Ort führt. Rechts und links stehen zwei Steinsäulen, von denen je ein Hirsch herabblickt. Auch hier zitiert Burton den Dracula-Klassiker aus dem Jahre 1958. Auf der linken Seite des Weges befindet sich der kleine Friedhof des Ortes, während auf der rechten Seite friedlich Schafe grasen. Auch hier konnte sich Tim Burton eine ironische Anspielung wohl nicht verkneifen, spielt er doch auf die biblische Redewendung vom Hirten und seinen Schafen an, als wolle er die lebenden Einwohner des Ortes mit den Schafen gleichsetzen, die, wenn sie einmal verstorben sind, gleich gegenüber auf dem Friedhof beigesetzt werden. Die Häuser des Ortes sind eng aneinander geschmiegt, so als suchten sie jeweils beim anderen Schutz vor dem Bösen dieser Welt und reflektieren somit auch die engen Beziehungen der Bewohner zueinander. Das Böse hingegen scheint all das zu sein, was von der Welt „da draußen“ kommt. Anders ist es wohl nicht zu erklären, daß bei Cranes Ankunft die Einwohner die Fenster schließen und ihn argwöhnisch beobachten. Crane, der in seiner Welt bereits ein Außenseiter ist, wird dies auch hier bleiben. Hilfe wird er hier jedenfalls nicht erwarten können. Der immer präsente Nebel nimmt zudem die Sicht auf all das, was sich in der näheren Umgebung abspielt und er nimmt somit auch im übertragenen Sinne die Sicht auf das, was sich hinter den windschiefen Wänden abspielt. Es wird deutlich, daß in diesem Ort jeder Einwohner Geheimnisse zu haben scheint, die er ungern mit der Außenwelt teilt. Klar erkennbar sind diese Geheimnisse noch nicht, obwohl Burton bereits alle Hintergründe für das, was in Sleepy Hollow vor sich geht, genannt hat, ohne daß mir dies als Zuschauer klar ist, da ich viel zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt werde. So glaube ich mich fast in der Rolle der Katrina Van Tassel (Christina Ricci), die auf einem Fest Blinde Kuh spielt und als einzige Person in diesem Raum nicht über die Hintergründe um sie herum Bescheid weiß, während alle anderen Männer eine verschworene Gemeinschaft bilden. Überhaupt darf das Haus der Van Tassels, in dem das Fest stattfindet, einmal mehr als ein Zitat aus den zahlreichen Hammer-Filmen verstanden werden und würde plötzlich Vincent Price in einem Sessel sitzen, es würde mich nicht wirklich überraschen. Schwarz und bedrohlich erhebt sich das Haus auf einem nebelverhangenen Hügel und auch hier mag der deutsche Expressionismus Pate gestanden haben. Heugarben rechts und links umschließen den Weg zum Haus und tote Bäume recken ihre schwarzen Äste in den grauen Himmel. Der einzige warme Lichtpunkt stammt ausgerechnet von einem erleuchteten Kürbis, der als Kopf auf einer Vogelscheuche thront und somit an Van Garretts Tod erinnert. Als Crane, der die sich küssenden Gestalten im Schatten ignoriert, die Tür zum Haus geöffnet bekommt, glaubt man sich zunächst in einer vollkommen anderen Welt, denn liebliche Musik erklingt, die Charakteristik wechselt zu warmen Farben und jetzt sind zum ersten Mal Menschen zu sehen, die sich amüsieren und wie Katrina Blinde Kuh spielen. Einzig die allgegenwärtigen erleuchteten Kürbisse sorgen spätestens seit dem Tode Van Garretts dafür, daß bei ihrem Anblick ein Gefühl des Unbehagens nicht mehr zu leugnen ist und daß auch hier die Feier anläßlich von Halloween letztlich nur Fassade sein kann. Und erneut muß sich Crane wie ein Fremdkörper vorkommen, denn seine schwarze Kleidung und sein Gepäck lassen ihn eher wie ein Vertreter aussehen. Daß jedoch das farbliche Innere der Empfangshalle nur Fassade sein kann, wird spätestens dann deutlich, wenn Crane in sein Zimmer geführt wird. Hier dominieren dunkle Farben, die deutlich machen, daß es im tiefsten Inneren unter der Fassade dunkel und kalt zugeht. Zudem besitzt der Raum von Ichabod Crane denselben Grundriß, den der Raum von Adam und Barbara Maitland in Tim Burtons Film „Beetlejuice“ (USA 1988) hat, in dem sich die beiden nach ihrem tödlichen Unfall aufhalten, somit von den Lebenden ausgeschlossen sind, aber noch nicht ins Jenseits dürfen. Burton verdeutlicht hierdurch die Zwischenwelt, in der sich Crane als ein Außenseiter in allen Welten befindet. Aber vielleicht braucht es ja einen Außergewöhnlichen, um das Außergewöhnliche aufzuklären.